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Der ewige Gaertner

Der ewige Gaertner

Titel: Der ewige Gaertner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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kostet Sie das Karrierepunkte.«
    Während er diese Szene noch einmal durchlebte, nicht zum ersten Mal in den zwölf Monaten, seit sie stattgefunden hatte, und erneut spürte, wie erniedrigt er sich gefühlt hatte und wie enttäuscht, als ihm beim Verlassen des Hauses ihr verächtlicher Blick im Rücken brannte, zog Woodrow verstohlen eine schmale Schublade des heiß geliebten Intarsientisches von Tessas Mutter auf und stöberte darin herum. Er nahm alles in die Hand, was er fand. Ich war betrunken, ich war von Sinnen, rechnete er sich als mildernden Umstand an. Ich musste einfach etwas Unbesonnenes tun. Ich wollte das Dach über meinem Kopf zum Einsturz bringen, damit ich den Himmel sehen konnte.
    Ein Blatt Papier – das war alles, wonach er Ausschau hielt, während er sich hektisch durch Schubladen und Regale wühlte –, ein unbedeutendes Blatt amtlichen blauen Briefpapiers, einseitig beschrieben, und zwar von mir. Das Unsagbare wird darin in Worte gefasst, Worte, die ausnahmsweise einmal nicht herumlavieren, kein Einerseits dies , aber andererseits kann ich nichts daran ändern – unterzeichnet nicht mit S oder SW, sondern mit Sandy in gut lesbarer Handschrift und beinahe noch mit WOODROW in Großbuchstaben. Als wollte er der ganzen Welt und Tessa Quayle zeigen, dass ein gewisser Sandy Woodrow, Kanzleivorsteher im britischen Hochkommissariat in Nairobi, nachdem er an jenem Abend in sein Büro zurückgekehrt war, sich – ganz schüchterner Verliebter – ein großzügig bemessenes Glas Scotch neben den Ellbogen gestellt hatte und sich, von ihrer nackten Silhouette heimgesucht, einen fünfminütigen Aussetzer gestattete und in einem einzigartigen Akt kalkulierten Wahnsinns Karriere, Ehe und Familie aufs Spiel setzte, in der fehlgeleiteten Hoffnung, so sein Leben besser mit seinen Gefühlen in Einklang zu bringen.
    Und, nachdem das Unerhörte geschrieben war, hatte er den besagten Brief in einen Briefumschlag Ihrer Majestät gesteckt und ihn mit seiner whiskyfeuchten Zunge versiegelt. Er hatte ihn sorgsam adressiert und – die innere Stimme der Vernunft ignorierend, die ihn beschwor, eine Stunde zu warten, einen Tag, ein ganzes Leben, lieber noch einen Scotch zu trinken, Heimaturlaub zu beantragen oder den Brief wenigstens erst morgen früh abzuschicken, nachdem er eine Nacht darüber geschlafen hatte –, hatte ihn nach oben zur Poststelle des Hochkommissariats getragen. Der einheimische Angestellte, ein Kikuyu namens Jomo – benannt nach dem großen Kenyatta –, sah keinen Anlass, sich zu fragen, warum wohl der Leiter der Kanzlei einen selbst überbrachten Brief mit der Aufschrift »Persönlich« an die nackte Silhouette der schönen jungen Frau eines Kollegen und Untergebenen schicken wollte. Er warf den Brief umstandslos in einen Sack mit der Aufschrift NAIROBI, NICHT GEHEIM und rief ihm ein unterwürfiges »Nacht, Mr Woodrow, Sir« hinterher.
    ***
    Alte Weihnachtskarten.
    Alte Einladungen, auf denen Tessa das »Nein« angekreuzt hatte. Andere waren mit dem emphatischeren Kommentar »Nie im Leben« versehen.
    Alte Gute-Besserungs-Karten von Ghita Pearson mit Abbildungen indischer Vögel.
    Eine Rolle Geschenkband, ein Weinkorken, ein Packen Diplomaten-Visitenkarten, zusammengehalten von einer Büroklammer.
    Aber kein kleiner Bogen amtlichen blauen Briefpapiers, der mit einem auftrumpfend hingekritzelten »Ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich, Sandy« endete.
    Woodrow schlich schnell an den verbliebenen Borden entlang, schlug wahllos Bücher auf, öffnete Schmuckkästchen, gab sich geschlagen. Reiß dich zusammen, Mann, beschwor er sich, entschlossen, dem Fehlschlag etwas Gutes abzugewinnen. Na schön: kein Brief. Warum sollte da auch einer sein? Bei Tessa? Nach zwölf Monaten? Hatte ihn wahrscheinlich am selben Tag noch in den Papierkorb gestopft. Eine Frau wie sie, zwanghafte Flirterin, der Ehemann ein Schlappschwanz. Die hatte wahrscheinlich zweimal im Monat einen Antrag gekriegt. Dreimal! Einmal in der Woche! Täglich! Er schwitzte. In Afrika brach ihm der Schweiß in schmierigen Strömen aus, trocknete dann wieder. Er stand leicht vorgebeugt da, ließ ihn herunterrinnen, lauschte.
    Was macht der verdammte Kerl da oben? Was schleicht er da herum? Private Unterlagen, hatte er gesagt. Anwaltskorrespondenz. Was für Unterlagen bewahrte sie da oben auf, die zu privat waren fürs Erdgeschoss? Das Telefon im Salon klingelte. Es musste schon die ganze Zeit über geklingelt haben, seit sie das Haus

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