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Der Experte: Thriller (German Edition)

Der Experte: Thriller (German Edition)

Titel: Der Experte: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Allen Smith
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die Schritte, unter denen die Kiefernnadeln knitschten, drehte sich um und blies einen perfekten Rauchring, während er zusah, wie sie näher trat. Keine fünf Meter von ihm entfernt blieb sie stehen. Die Bäume ließen ein wenig Mondlicht einfallen.
    »Haben Sie ihn nach Dewey gefragt?«, fragte Victor.
    »Dewey ist tot.«
    Victor runzelte die Stirn. »Das tut mir leid, Zanni.«
    »Aber ehe er starb, hat er Geiger etwas verraten.«
    »Und was?«
    »Er sagte, Sie arbeiten für Dalton.«
    Victor nickte mechanisch. »Ich verstehe.« Er seufzte. »Ich muss gestehen, dass ich, als Dewey verschwand, befürchtet habe, dass genau dieser Fall eintreten könnte, falls Geiger ihn hätte.« Er sog intensiv an seiner Zigarette. »Nehmen Sie es mir nicht übel, meine Liebe, aber Ihr Bruder war für diese Arbeit nicht geschaffen.«
    Er ließ die Zigarette fallen und zertrat sie bedächtig mit dem Absatz. Sein Daumennagel wanderte zu dem Kinnspalt und fuhr daran auf und ab, während er die Situation überdachte. Endlich sah er zu ihr hoch.
    »Nun, Zanni, was werden Sie tun?«
    Zanni zog die Beretta und hob sie.
    Victors träges Lächeln bewies, dass er des Schicksals verdrehten Sinn für Humor noch immer zu schätzen wusste. Er starrte in die Mündung des Schalldämpfers. Die Waffe zitterte kein bisschen. Zanni stand so nahe, dass er sehen konnte, wie sich ihr Zeigefinger um den Abzug krümmte.
    Geiger hörte das schwache, gedämpfte Fffffp des Schusses und sprang auf. Er eilte in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Als er Zanni entdeckte, dreißig Meter vor sich entfernt, mit dem Rücken zu ihm, blieb er stehen. Sie stand vor dem reglos am Boden liegenden Victor und schoss ein zweites Mal. Dann steckte sie die Pistole in die Tasche und kehrte mit gleichmäßigem Schritt und ohne Eile zu Geiger zurück. Als sie ihn erreichte, blickte sie ihm in die Augen.
    »Sollen ihn die Tiere fressen«, sagte sie und ging weiter. »Ich will zum Auto zurück. Mir wird kalt.«
    Er saß am Küchentisch und fuhr langsam mit der Klinge des alten Skalpells über den Schleifstein, vor und zurück, jeder Strich identisch mit dem vorhergehenden. Die repetitive Natur des Rituals, gekoppelt mit dem leisen, rauen Schleifton, wirkte beruhigend auf ihn. Er schärfte das Skalpell jeden Tag eine halbe Stunde lang auf einem gestreiften grauen belgischen Schleifstein von Coticule und bewegte es im Einklang mit dem Schlag seines Pulses.
    Während dieser Zeit setzte oft der Wahnsinn ein, wenn sein Komplize, der Magier, ihm einen Besuch abstattete, einen Zauber bewirkte und alles verwandelte: das Lavendelfeld in ein Rudel blutdürstiger Schlangen; die großen Augen in dem Holz der Tischplatte in schwermütige Gesichter, verzweifelte Seelen, die unter dem Eis eines zugefrorenen Sees festsaßen; die Flasche mit dem Geschirrspülmittel in eine winzige Nonne, die die Hände vor der Taille gefaltet hatte und mit klarer, frommer Stimme ihre Gebete sprach: »Mein Vater, ich überlasse mich dir, mach mit mir, was dir gefällt. Was du auch mit mir tun magst, ich danke dir …«
    Dalton erinnerte sich an die beiden Ärzte, die nach dem zweiten chirurgischen Eingriff in sein Zimmer traten – die Gesichter starr, die Lippen geschürzt, um ihr Versagen zu kaschieren. Wie Trauernde bei einer Totenwache standen sie an seinem Bett, und als Dr. Ling endlich das Wort ergriff, hörte Dalton in seiner Stimme einen unerwarteten Unterton. »Wir müssen etwas mit Ihnen besprechen …«
    Dalton legte das Skalpell und den Wetzstein auf den Tisch und hob die Hände vors Gesicht. Dabei erhaschte er einen Blick auf etwas hinter ihnen. Er senkte die Hände, während sich seine optischen Zahnräder unwillkürlich neu fokussierten, und er starrte den Stuhl gegenüber an, auf der anderen Seite des Tisches. Die Arme waren menschlich, die Hände lagen gefaltet auf dem Tisch, die ineinander verschränkten Finger bewegten sich gelassen, und der Stuhl hatte einen Kopf auf der flachen Lehne aus lackiertem Kiefernholz.
    Geigers Kopf. Die reglosen Schieferaugen musterten ihn unverwandt.
    Wie stets während der Visionen ging ein versprengtes rationales Element von Daltons Verstand mit auf die Reise.
    »Noch nicht einmal hier – und schon wieder da?«
    »Wieso tun Sie das?«, fragte der Kopf.
    Dalton seufzte. »Denken Sie an das Dichterwort: Wie ich dich hasse? Lass es mich aufzählen, wie.« Er lehnte sich zurück. Das alte Holz seines Stuhles knarrte. »Und ich halte es nicht für

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