Der Facebook-Killer: Thriller (German Edition)
allerdings ohne Krawatte. Dafür leistete er sich den Luxus eines weißen Einstecktuchs. Im Gegensatz zu ihr hatte er sich offenbar die Zeit genommen zu duschen. Aufs Rasieren hingegen hatte er – zweifellos bewusst – verzichtet. Fronzac rieb sich nachdenklich das Kinn.
Die Wölfin zog anerkennend beide Brauen hoch.
„Guten Morgen, Docteur Wolf“, grüßte Raphaël Zach. „Willkommen im Hades.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und fuhr fort: „Ich nehme an, Sie haben das Wichtigste … beim Hereinkommen gehört?“
Geza nickte. Wortlos reichte sie dem Pathologen die Tüte mit den Croissants.
Er nahm sie und warf einen Blick hinein. „Ich habe unterwegs an einer Brasserie haltgemacht. Ich habe gehört, Sie mögen Croissants“, kommentierte Geza ihr Mitbringsel. „Bedienen Sie sich.“
Fronzac grinste. „Ich werde nie verstehen, wie du direkt neben einer Leiche stehend essen kannst, Raphaël.“
Der Angesprochene zuckte die Achseln und begann zu kauen.
Fronzacs Blick wanderte zu den Krümeln und Blätterteigstücken auf Gezas Pulli. Die wandte sich von der übel nach Formaldehyd riechenden Frauenleiche auf dem Metalltisch ab und rang um Selbstbeherrschung. Ihr zitterten die Knie.
„Alles in Ordnung, Geza?“, fragte Fronzac mit echter Besorgnis in der Stimme. „Geza?“
Sie taumelte ein paar Schritte von Michelle Tourrendes Leichnam weg. Sie hasste es, Schwäche zu zeigen, verabscheute sich dafür, sich ausgerechnet vor Fronzac, den sie als einen ihrer Patienten betrachtete, eine solche Blöße zu geben. Aber diese weißviolette Haut, der Gestank, der Ansatz des Y-Schnitts … Geza holte tief Luft. Sie schmeckte nach Desinfektionsmittel, Chlor, Rauch und Tod. Geza wurde übel.
In dem Moment klingelte Fronzacs Handy. Er fischte es aus der Jackettasche, drückte den grünen Knopf und sagte knapp: „Ja?“
Einen kurzen Augenblick lang lauschte er in das kleine Gerät, und sein Kiefer spannte sich noch mehr an. Dann hörte die Wölfin ihn antworten: „Ja. Ich verstehe. Wo genau? Wir kommen. Nein, keine Sorge, wir sind praktisch schon unterwegs.“
Er unterbrach die Verbindung, und sein Blick fiel auf Geza.
„Das war der Commandant. Es hat einen Mord gegeben. In La Villette.“
„Wieder eine Frau?“
„Nein, das Opfer ist laut Bavarois männlich.“
„Dann ist es nicht unser Täter“, sagte Geza mit Bestimmtheit. „Er mag seine Tötungsart wechseln, aber das Geschlecht, auf das ein Serientäter seinen Hass projiziert, wird immer gleich bleiben.“
„Das mag sein“, antwortete Fronzac ausweichend.
„Warum will Bavarois dann, dass wir uns das ansehen?“
„Kommen Sie bitte“, entgegnete Fronzac und eilte zur Tür. „Ich erkläre es Ihnen unterwegs.“
„Was wissen Sie über La Villette?“, fragte er, kaum dass er seinen Dienstwagen vom Parkplatz der Präfektur gelenkt und in den Pariser Mittagsverkehr eingefädelt hatte.
„Nichts. Erleuchten Sie mich.“
„La Villette ist eines der 80 Quartiers unserer herrlichen Stadt“, begann Fronzac mit seiner angenehmen Stimme zu erzählen, „genauer gesagt das 73. Es liegt im nordöstlichsten Teil der Stadt, grenzt an die Gemeinde Saint-Denis – die schon nicht mehr Teil von Paris ist – und gehört zum 19. Arrondissement. Bis Ende des 18. Jahrhundert war das eine idyllische, bewaldete Gegend. 1808 verband man sie durch ein Aquädukt mit Paris, das 1825 zu einem schiffbaren Kanal wurde – dem sogenannten Canal de l’Ourcq. 1860 hat man La Villette dann eingemeindet.
Auf Befehl Kaiser Napoleons III. bat der Pariser Stadtrat den Präfekten der Seine sechs Jahre später, die Viehmärkte der nahegelegenen Gemeinden Poissy und Sceaux auf ein Gebiet innerhalb der Pariser Stadtgrenzen zu verlagern. Der Ort der Wahl
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