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Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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schön geradeaus flog. Felix Bloch ahnte, dass sich mit ihm im Labor einiges würde anstellen lassen – einiges mehr als mit den Elektronen, von denen man noch immer nicht so recht wusste, ob sie nun Hochsprung oder Weitsprung oder sonst etwas Schönes machten.
    Deshalb beschloss er, während seines Rockefeller-Stipendiums eine atomphysikalische Europareise zu unternehmen und sich auf den neuesten Stand der Neutronenforschung zu bringen. Als erstes würde er Enrico Fermi in Rom besuchen, der sich in den Kopf gesetzt hatte, sämtliche Elemente des Periodensystems eins nach dem anderen mit Neutronen zu beschießen und zu beobachten, was dabei herauskam. Dann würde er bei Niels Bohr in Kopenhagen vorbeischauen und ihm seine Idee unterbreiten, dass Neutronen, wenn sie auch elektrisch neutral waren, doch eine magnetische Ladung haben könnten. Und dann würde er für ein paar Monate nach Cambridge zu James Chadwick gehen, der als erster überhaupt die Existenz des Neutrons experimentell nachgewiesen hatte.
    Das war sein Plan, aber so geschah es nicht. Je länger nämlich der Sommer 1933 dauerte, desto offensichtlicher wurde, dass es in Europa mit unschuldigen Bildungsreisen bald für lange Zeit vorbei sein würde. In Zürich hingen massenhaft Fahnen und Flaggen, in der Wandelhalle der Universität patrouillierten grau uniformierte Schutzstaffeln der Nationalen Front. Seine Studienfreunde Fritz London und Walter Heitler waren nach Großbritannien geflohen, seine Lehrmeister Erwin Schrödinger und Hans B eth e auch. Albert Einstein hatte in Amerika öffentlich kundgetan, dass er auf absehbare Zeit nicht nach Europa zurückkehren werde. Sogar Fritz Haber, der deutsche Patriot und Giftgasveteran des Ersten Weltkriegs, hatte aus Protest gegen die nationalsozialistischen Greuel seine Ämter in Berlin niedergelegt und eine Professur in Cambridge angenommen.
    Es war in jenem Sommer 1933 unübersehbar, dass die Kriegsmaschine ihre Räder wieder in Schwung versetzt hatte und über kurz oder lang außer Rand und Band geraten würde. Jeden Morgen las Felix in der Zeitung von überfüllten Konzentrationslagern und Schlägereien in Parlamentssälen, von Bücherverbrennungen an deutschen Universitäten und summarischen Erschießungen von Kulaken in der Sowjetunion, von Stapelläufen riesiger Kriegsschiffe und von Kohleknappheit, verschärften Visabestimmungen, Massenarbeitslosigkeit, Gleichschaltung, Pogromen, Wiederaufrüstung und Hungerrevolten.
    So war die Lage, als ihn ein Telegramm erreichte, in dem ihm der Dekan der Universität Stanford eine Professur für theoretische Physik anbot. Felix hatte nicht die leiseste Ahnung, wo auf Gottes weitem Erdenrund Stanford sich befinden mochte; weil aber das angebotene Salär in US -Dollar angeführt war, tippte er auf Amerika.
    Die zehntägige Überfahrt über den winterlich rauhen Atlantik war die erste Seereise seines Lebens; es dauerte acht Tage, bis sein Magen sich an das Stampfen und Rollen gewöhnt hatte. Und als er dann endlich im Hafen von New York an Land durfte, machte er die interessante Erfahrung, dass ihm wiederum schlecht wurde, weil sein Magen auf die plötzliche Ruhe der Terra firma mit einer Art inversiver Seekrankheit reagierte.
    Da er bis zur Weiterreise zwanzig Stunden totschlagen musste, wankte er durch Manhattan und schaute sich alles an – die hohen Häuser, die breiten Straßen, die großen Autos –, empfand aber zu seiner eigenen Enttäuschung keine Begeisterung. Zwar waren die Häuser tatsächlich sehr hoch und die Straßen bemerkenswert breit – breiter wohl, als manche Zürcher Altstadtgasse lang war –, und die Autos waren riesengroß und glitzerten wie Weihnachtsbäume, während auf den Gehsteigen ein dichter, nicht abreißender Menschenstrom dahinzog.
    Vielleicht lag es an Felix Blochs geschwächtem Zustand, dass er diese allumfassende Enormität zwar beeindruckend, aber nicht sonderlich interessant fand. In seinen Augen waren die Häuser Manhattans, auch wenn sie noch so hoch in den Himmel ragten, doch nur zweckdienliche Häuser mit Fenstern und Türen, durch die Menschen ein und aus gingen. Die Straßen waren bei aller Sechs- und Achtspurigkeit doch nichts weiter als Straßen, auf denen Autos und Lastwagen fuhren. Die Autos hatten unter Chrom und Lack und zentimeterdickem Karosserieblech auch nur vier Räder wie alle Autos überall auf der Welt. Und was schließlich die Menschen betraf, so waren sie einfach Menschen. Manche mochten sich in Haut-, Haar-

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