Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)
waren wie Kathedralen, und oft auch klapprige Fords, deren hohlwangige Insaßen allerlei Kochtöpfe, Zeltstangen und Koffer mit Stricken aufs Dach und auf die Trittbretter gebunden hatten.
In Palo Alto bog er rechts ab. Hinter der Bahnstation erreichte er eine kilometerlange Palmenallee, die in einem lichten Park mit exotischem Baumbestand zur Universität Stanford führte. Er stellte seinen Wagen ab, ging unter einem romanischen, reich mit Reliefs geschmückten Torbogen hindurch und fand sich vor einer gedrungenen, in neo-byzantinischem Heimatstil gehaltenen Kirche wieder, an die sich roh behauene Sandsteinarkaden anschlossen, die im Rechteck angeordnet waren und mit ihren Terrakotta-Ziegeldächern an eine mexikanische Hazienda, ein mittelalterlich-romanisches Kloster oder an die Stein gewordene Historienphantasie eines entwurzelten Eisenbahnmagnaten erinnerten.
Wenn Felix Bloch in späteren Jahren von Journalisten über seine Ankunft in Stanford befragt wurde, erinnerte er sich an freundliche Gesichter, den kräftigen Händedruck des Dekans und die angenehme Empfindung, mit offenen Armen empfangen zu werden und wirklich willkommen zu sein. Er erinnerte sich an eine spontane Party, die die Dozenten ihm zu Ehren gegeben hatten, und an seine Fassungslosigkeit beim Anblick der braungebrannten und augenscheinlich fröhlichen Studentinnen und Studenten, die alle aussahen, als seien sie eben vom Strand zurückgekehrt und müssten gleich weiter zu einem Barbecue.
Tatsächlich ähnelte Stanford in jenem April 1934 einem Country Club für reiche junge Leute. Auf dem Campus stand ihnen ein weitläufiger 24-Loch-Golfplatz zur Verfügung, der als der schönste der gesamten Pazifikküste galt, daneben gab es zwei künstliche Seen, auf denen Segelturns und Ruderregatten stattfanden, zudem ein Polofeld und ein Footballstadion für neunzigtausend Zuschauer sowie eine unübersichtliche Anzahl vorzüglich ausgestatteter Gymnastik-, Turn- und Sporthallen in klassizistischem Stil aus weißem Marmor mit integrierten Hallenbädern, Handballfeldern und Bowlingbahnen.
Damals studierten in Stanford fünftausend Studenten und tausend Studentinnen; dem Namenregister im Jahrbuch 1934 nach zu urteilen, waren fast alle angelsächsischer, skandinavischer oder deutscher Herkunft. Die meisten trieben Sport und hatten kräftige Schultern, starke Beine und eine gesunde Hautfarbe. Die Männer trugen Kordhosen und Holzfällerhemden, die Frauen gerade geschnittene Röcke und Tennisschuhe; der förmliche Dresscode der Ivy-League-Universitäten an der Ostküste war ihnen fremd. Auch gab es hier keine elitären Geheimbünde, deren Mitglieder sich um einen britischen Akzent bemühten und hinter efeuumrankten Geheimtüren alberne Initiationsrituale mit Totenschädeln und blutigen Masken abhielten; Stanford-Studenten gingen am Wochenende hinaus in die Foothills, um Forellen zu fischen und Kaninchen zu jagen, oder sie fuhren in überfüllten Autos nach San Francisco zum Tanzen im »Mark Hopkins« oder im »St. Francis Hotel«, das sie »The Frantic« nannten.
Mehr als die Hälfte von ihnen verfügte in jenem Jahr, welches das fünfte der Großen Depression war, über ein eigenes Auto, manche hatten ein eigenes Flugzeug. Und alle lebten in der ruhigen Gewissheit, dass Amerika unangreifbar stark war und sie selber dank ihres von den Eltern ererbten Reichtums bis ans Ende ihrer Tage gefeit sein würden vor Hunger, Krankheit, Armut und jeder anderen Form von Unglück.
Felix Bloch verstand, dass er auf der Sonnenseite des Lebens angelangt war, die Düsternis der Welt lag hinter ihm. Ein Institut für theoretische Physik aber gab es in Stanford nicht. Seine Aufgabe war es, ein solches aufzubauen.
Die erste Veranstaltung, die Felix Bloch in Stanford anbot, war ein Seminar über Enrico Fermis Theorie zu Betastrahlung. Im Vorlesungssaal fand er ein Dutzend wohlgenährte Studenten mit rosigen Gesichtern vor, die ihn neugierig musterten und ihre scharf gespitzten Bleistifte erwartungsvoll auf der ersten Seite ihrer brandneuen Notizhefte angesetzt hatten. Als er aber zu sprechen begann, flogen die Bleistiftspitzen nicht übers leere Papier, sondern blieben links oben stehen, weil die Studenten kein Wort von dem begriffen, was er sagte. Felix Bloch erkannte, dass er es mit Frischlingen zu tun hatte, die zehn Jahre jünger als er und noch keine zwanzig Jahre alt waren, und dass ihnen die Grundlagen fehlten, um die Voraussetzungen für eine Einführung in die
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