Der Falke des Lichts
es wäre besser, wenn ich auf ihn hörte - das Leben schien sich irgendwie wieder dem eigenen normalen Muster anzupassen. Aber der Unterschied war da, ein Schatten, der all die wohlbekannten Dinge fremd erscheinen ließ. Ich hatte einen Pakt geschlossen, und ich war daran gebunden. Ein Samenkorn war gepflanzt worden, und ich wartete manchmal wach in meinem Bett in der Nacht, wenn der sanfte, schlafende Atem der anderen Knaben um mich in der Dunkelheit zu hören war - wartete darauf, daß eine Pflanze wuchs und irgendeine phantastische, schwarze Blüte entfaltete.
Agravain bemerkte nichts. Er schlug mich weniger hart, wenn wir kämpften, aber das kam nur daher, weil ich mich nicht so hart wehrte. Ich hatte nicht länger den Wunsch, eine Ehre zu verteidigen, die ich nicht verstand. Ehre, die gehörte in Lots Welt, in Agravains Welt. Meine Welt bot für solche Dinge keinen Raum mehr.
Medraut allerdings bemerkte es fast sofort. Immer öfter erwischte ich ihn, wenn er mich mit verwirrten Augen mitten in einem Gespräch oder einem Spiel anstarrte. Irgendwann würde er mir die Frage wohl einmal offen stellen, nahm ich an, und ich fragte mich, was ich ihm wohl antworten würde.
An Medrauts achtem Geburtstag schenkte Lot ihm ein Pferd seiner eigenen Wahl aus den königlichen Ställen. Ich ging mit meinem Bruder, um ihm bei seiner Wahl zu helfen. Als Lot das Geschenk beschrieb, war Medraut sehr aufgeregt gewesen, aber auf dem Gang zu den Ställen wurde er plötzlich wieder nüchtern. Zusammen schauten wir die Pferde an - sie waren alle von der kleinen, zottigen Art, die auf den nördlichen Inseln zu Hause sind -, und wir diskutierten die Fähigkeiten jedes einzelnen Tieres. Medraut hörte sich mein Pferdegerede in seiner ernsten Art an, und dann, ganz plötzlich, als ich die Beine eines Tieres prüfte, fragte er mich: »Was ist denn nur, Gawain?«
Ich fuhr zusammen und schaute von dem Pferd auf. Ich drehte mich auf den Knien um, um Medraut ansehen zu können. »Nichts, wenigstens nicht mit seinen Beinen. Aber es hat überhaupt keinen Widerrist.«
»Nein, nein, ich meine nicht das Pferd. Hast du irgend etwas?«
»Ich? Nein. Wie kommst du denn darauf?«
Er stand da und schaute mich im kalten, staubigen Sonnenlicht des Stalls an. Seine Kleidung hatte einen matten Ton, und seine grauen Augen waren weit aufgerissen und sorgenvoll. Das Licht glänzte blaß auf seinem Haar, es war das einzig Helle an diesem Ort. Er sah verwundbar aus und sehr unschuldig.
»Du bist in letzter Zeit so komisch gewesen«, sagte mein Bruder nervös. »Du gehst fort.«
Ich lächelte. »Na, ich bin immer gern geritten. Und jetzt, wo du dein eigenes Pferd hast, kannst du öfter mit mir kommen.«
»Das meine ich nicht.« Medrauts Stimme war scharf. »Den ganzen Sommer bist du dagewesen. Du warst hier, bei uns allen. Früher bist du auch schon mit Agravain und Lot weggewesen, aber in diesem Sommer warst du hier. Und jetzt.« Medraut biß sich auf die Lippe und wandte den Blick von mir ab. »Jetzt bist du fort. Ich kann nicht mehr mit dir reden. Du ziehst dich sogar vor mir zurück.«
»Ich verstehe dich nicht«, meinte ich, obwohl ich in Wirklichkeit genau wußte, was er meinte.
»Du hattest Streit mit Agravain«, sagte Medraut unglücklich.
Ich schaute weg und zuckte die Achseln.
»Und danach ist irgend etwas passiert. Danach hast du dich vor uns allen zurückgezogen.«
An einigen dieser Tage hatte ich gespürt, daß ich die Welt aus großer Entfernung unter der Maske her beobachtete, die einmal mein Gesicht gewesen war. Ich war weggegangen.
»Und du bist auch nicht mehr am Llyn Gwalch gewesen.«
Ich dachte an Llyn Gwalch. An den Tang, der auf den Felsen glänzte, an die Tautropfen und das Seewasser auf den moosbewachsenen Felsblöcken. Solche Orte haben kein Gewicht in der Welt, sagte ich mir. Man muß in der Welt leben, die wirklich ist. »Das war ein kindisches Spiel«, sagte ich. »Ich bin jetzt dafür zu alt.«
»Aber was ist passiert?« Medraut überquerte den Platz, der uns trennte, und ergriff mich am Arm. »Du mußt es mir sagen!«
»Warum?« Ich starrte ihn an, genauso hochmütig wie der Falke in meinem Namen.
Er schaute mich einen langen Augenblick an, dann legte er die Arme um mich und begrub sein Gesicht an meiner Schulter. Es tat weh. Ich verdiente das nicht.
»Ich bin zu Morgas gegangen und hab’ sie gebeten, mich die Zauberei zu lehren«, flüsterte ich.
Er hob den Kopf von meiner Schulter. Seine Augen waren weit
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