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Der Falke des Pharao

Der Falke des Pharao

Titel: Der Falke des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynda S. Robinson
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fortgekrabbelt, um sich ein Nest zu bauen und ein Netz zu spinnen – viel zu nah bei seinem Sohn.

Kapitel 9
    Kysen stand auf dem Dach von Theshs Haus und beobachtete, wie der Horizont ein tiefes Türkis annahm und dann in ein weiches, helles Orange überging. Hinter ihm standen einige Betten, die von den Haushaltsmitgliedern in besonders heißen Nächten benutzt wurden. Das hinter dem Weidenschirm war sein eigenes gewesen. Stimmen und Gelächter von Frauen drang aus offenen Hauseingängen und der Straße unter ihm hinauf. Sie bereiteten das Abendessen vor. Er nahm einen tiefen Zug Bier aus einem glasierten Becher. Sein erster Tag in der Nekropole war fast vorüber, und er mußte immer noch mit dem Zeichner Woser sprechen. Das Bier wurde in seinem Magen schal, als er daran dachte, wie er mit Thesh zu Wosers Haus gegangen war.
    Der Schreiber hatte ihn vor Wosers Krankheit gewarnt, an der dieser schon seit über einer Woche litt, und die sich während der vergangenen beiden Tage erheblich verschlimmert hatte. Woser konnte keine Nahrung bei sich behalten und Thesh schrieb dies seiner Unzufriedenheit darüber zu, daß er nur Zeichner war. Woser sehnte sich danach, Bildhauer zu werden, sehr zur Belustigung des ganzen Dorfes. Denn Wosers Skulpturen sahen aus, als sei er blind.
    Kysen hatte darauf bestanden, Woser zu sehen, aber als Thesh ihn die Hauptstraße entlang, vorbei an neugierigen Dienern und den Frauen der Handwerker führte, konnte er aus einem Haus, am Ende der Straße würgende Laute vernehmen. Kysen tauschte einen Blick mit dem Schreiber, als sie auf der Schwelle von Wosers Haus Halt machten. Wie die meisten Häuser im Dorf bestand es aus vier rechteckigen, hintereinanderliegenden Räumen.
    Thesh steckte seinen Kopf durch die Tür. Über seine Schulter hinweg konnte Kysen den Gemeinschaftsraum der Familie erkennen, eine Wand war mit Kissen ausgelegt. Hohe, schmale Fenster, die dicht unter der Decke angebracht waren, ließen nur wenig Licht hinein, doch Kysen entdeckte einen Kalksteinblock in einer Zimmerecke, in dessen Nähe das Handwerkszeug eines Bildhauers herumlag. Neben der Tür stand ein Tisch mit Tintenfässern, Stiften und der Zeichnung eines Grabschachtes. Er hörte, wie Thesh den Atem einsog. Der Schreiber wich plötzlich von der Tür zurück und zog eine Grimasse. Kysen warf ihm einen argwöhnischen Blick zu, bedeckte jedoch seine Nase mit der Hand und entfernte sich zusammen mit Thesh einige Schritte von der Eingangstür.
    »Bei Hathors Brüsten«, murmelte Thesh durch die Hände, die Nase und Mund bedeckten.
    Kysen senkte die Hände, atmete vorsichtig ein und entfernte sich ein paar weitere Schritte vom Haus. »Anscheinend ist nicht nur Wosers Bauch erkrankt.«
    »Ich vergaß«, sagte Thesh. »Seine Frau erwähnte, daß er gestern nicht in der Lage war, sich allzu weit von seinem Nachttopf zu entfernen. Sie bat mich, im Kalender nachzusehen, ob es ein Unglückstag war, aber ich konnte keine Anzeichen des Bösen entdecken. Sie behauptet, daß ein Dämon ihn innerlich verfaulen läßt.«
    Kysen neigte den Kopf zu Seite und hörte, wie Woser sich im Haus erneut übergab und stöhnte. Er räusperte sich und sagte zu Thesh: »Wir sollten bis zum Abend warten, vielleicht fühlt er sich dann besser.«
    »Ja, ja.« Thesh nickte nachdrücklich. »Ich erwarte heute morgen einen Arzt aus der Stadt, der nach ihm sehen wird. Heute abend, ja.«
    Sie hatten Wosers Viertel sofort verlassen. Danach hatte Thesh ihn darüber informiert, daß etliche der Künstler, die mit Hormin zu tun gehabt hatten, gerade Dienst am Erhabenen Ort täten, im Tal der Könige, um dort die Mauern und das Innere eines alten Grabes der letzten Dynastie zu restaurieren. Und so traf es sich, daß Kysen sich an der Ruhestätte der Pharaonen wiederfand, dort, wo die toten Könige zwischen Chaos und Ordnung vermittelten.
    Thesh führte ihn entlang der Straße der Arbeiter zu dem Erhabenen Ort, jenseits der Felsen, die an das westliche Theben angrenzen. Der Pfad bog in das Tal der Könige ein und führte drei Steintreppen hinab, die auf der einen Seite von einer Wand und auf der anderen durch einen Wachposten begrenzt waren. Als sie die Stufen hinter sich gelassen hatten, betrat er, bewacht von der königlichen Polizei der Nekropole, die Medjay, und bewacht von den Göttern selbst, das Refugium der Toten. Im Tal befanden sich hunderte königlicher Gräber. Hinzu kamen jedoch auch die Hütten und Kaufläden der Lebenden, in denen Waren für

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