Der Falke von Aryn
Sinn des Ganzen.«
»Aber … die Menschen wissen, dass es euch gibt. Sie wissen, dass es die Hüter gibt, den Orden der Seher, die Walküren …«
»Ja«, nickte er. »Aber was wissen sie? Sie wissen, dass die Schwerter der Walküren im Kampf leuchten, die Seher entlang der Zeiten die Folgen einer Handlung in der Zukunft sehen können und dass die Hüter mit ihren Stäben den Donner rufen können. Für jeden der Orden wurde eine Form der Magie vereinbart, die sie zeigen dürfen, eine, von der man hoffte, dass die Menschen sie akzeptieren lernen würden, sonst hätten wir uns ja selbst waffenlos gemacht und selbst zu sehr beschnitten und uns die Möglichkeit genommen, uns zu wehren. Die Menschen kennen den Donner, seit sie vor Urzeiten furchtsam in die Himmel schauten, die gleißenden Schwerter der Walküren mit ihrem Licht verkünden Schutz in der Dunkelheit, und die Seher von Ravanne leiten mit ihrer Weisheit die Völker. Das wissen die Menschen, und das können sie verstehen. Alles andere halten wir vor ihnen verborgen.«
»Was … was zeigt die Bruderschaft den Menschen?«
Raphanael schwieg einen Moment lang, während seine Augen die Straße absuchten, bevor er wieder ihren Blick fand. »Das Konkordat ist der einzige Vertrag, dem sie je zustimmten. Was ihre Magie angeht, sagen sie, dass ihr Wirken seit jeher den Menschen unsichtbar geblieben wäre und dies auch fortan so sein würde.«
Sie nickte langsam, ihr Blick in sich gekehrt, und sie schwieg lange, dann sah Raphanael, wie sich ihr Gesicht vor Abscheu verzog, sodass er schon befürchtete, wieder von ihr zu hören, wie sehr sie Magie als Fluch empfand und sich selbst und auch ihn verabscheute.
»Es war ein Hinterhalt, Raphanael«, sagte sie leise. »Er griff euch an ohne Vorwarnung, wie ein Räuber in der Nacht. Er warf das, was er hatte, auf euch, und ihr habt gegen ihn bestanden, ihn in die Flucht geschlagen. Er hat Grund, Angst vor dir zu haben.«
»Er ist dennoch stärker als ich«, sagte Raphanael rau. »Diesen letzten großen Stein … nicht mit aller meiner Macht könnte ich einen solchen Brocken auch nur bewegen!«
»Ja«, nickte sie. »Ich bezweifle ebenfalls, dass du mich im Schwertkampf besiegen würdest, und dennoch bist du damit nicht mir unterlegen … du hast dich nur in anderen Waffen geübt als ich. Glaube mir, Don Amos fürchtet dich.« Sie lachte leise. »Erinnere mich daran, dass ich mich bei Barlin dafür bedanke, dass er dich gerettet hat. Du hast Glück, einen solchen Freund zu haben.«
»Göttin«, sagte er mit Inbrunst. »Als ob ich das nicht wüsste.« Er lächelte ein wenig. »Wollen wir nicht weitergehen? Die Leute starren schon.«
»Ja«, sagte sie, holte tief Luft und sah hoch zum Himmel, der immer dunkler wurde. »Wir sollten uns beeilen, bevor Raban noch zu sehr dem Wein zuspricht.«
Am Hafen bei Nacht
34 Raphanael war noch nicht so oft bei Dämmerung oder gar in der Nacht im Hafen unterwegs gewesen. Er wusste, dass er sich seiner Haut erwehren konnte, er war ein Hüter, aber er war klug genug, das Schicksal nicht allzu sehr herauszufordern. Diese Welt besaß ihre eigenen Regeln, und für den, der diese nicht kannte, waren Fehltritte unausweichlich und zuweilen tödlich.
Lorentha hingegen schien nicht einen Gedanken darauf zu verschwenden. Das Schild der Garda glänzte hoch auf ihrer linken Schulter, es gab wohl für Schurken und Halunken kein Symbol, das sie mehr hassten und fürchteten als dieses. Vielleicht lag es daran, dass in Aryn die Garda nichts galt, aber es war nicht sie in ihrer Rüstung und mit ihrem Schwert und den beiden Radschlosspistolen, die an ihrem Gürtel steckten, die erstaunte Blicke erntete, sondern er, obwohl er nicht seine besten Kleider trug, und dabei hätte er denken können, dass er nicht weiter auffallen würde.
Das Gegenteil war der Fall, mit jedem Schritt, je dunkler der Himmel wurde, umso mehr Augen schienen ihn aus den Schatten anzustarren, das Gewicht seines Beutels damit aufzuwiegen, wie viel Ärger er bereiten konnte.
Als sie in die Schiefe Bank einbogen, zeigte es sich noch deutlicher. Drei verwegen aussehende Gestalten sahen ihn und richteten sich auf, einer tat sogar einen Schritt auf Raphanael zu und erstarrte dann, als er in zwei übereinanderliegende Bohrungen einer von Lorenthas Pistolen schaute, die ihm wie die Pforte zu den Höllen erscheinen mussten, was sie ja auch waren.
»Verzieh dich«, sagte Lorentha wie beiläufig. »Bevor ich den Hohlraum zwischen deinen
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