Der Falke von Aryn
Raphanaels Mutter und Arin zu retten, vertan.
Lorentha wusste es nicht, aber sie ging davon aus, dass es mehr als einen Ausgang gab, keine Ratte würde sich nur einen Fluchtweg offen halten.
»Also werden Emlich und Vargil vorn an der Tür Lärm machen, sie eintreten, falls nötig. Lasst die Huren rennen, wir suchen einen Kerl. Hager, einen Kopf kleiner als ich, blondes Haar, graue Augen, mit einem Muttermal hier an seiner linken Wange. Emlich sagt, er wäre meist in schwarzen Hosen und einem weißen Hemd gekleidet, und er wird sich nicht kampflos ergeben. Ich denke, er wird versuchen zu fliehen, wenn die Garda an seine Tür klopft, deshalb wird sich der Rest von uns in der Gasse am Hang verteilen. Bosco und ich werden die Tür in der Gasse aufbrechen, der Rest achtet darauf, dass er uns nicht durch die Finger schlüpft.«
Mehr war nicht zu sagen, auch das sagte sie nun schon zum dritten Mal. Sie sah zu der Gasse hin, die hinter Lesrens Haus führte, und nickte grimmig.
»Dann los.«
»Ist das das Haus?«, fragte Lorentha wenig später Bosco. Der sah nach oben, zählte Dächer ab und nickte.
»Ja, das ist es«, meinte er und beäugte die stabile Tür vor ihnen. »Man könnte meinen, er hätte sich auf eine Belagerung vorbereitet. Aufbrechen können wir die nicht.«
»Dann hoffen wir mal, dass man sie uns öffnen wird«, knurrte Lorentha und zog ihr Schwert und mit der rechten Hand eine ihrer Pistolen.
Plötzlich waren Lärm und gedämpfte Schreie zu hören, schließlich ein Schuss und ein Schrei. Bosco und Lorentha sahen sich an und dann auf die schwere Tür, die ihnen noch immer den Weg verwehrte. Götter, bat Lorentha in Gedanken, lass sie aufgehen.
Ihr Wunsch wurde auf der Stelle erfüllt, die schwere Tür flog ihr entgegen und stieß sie zurück, ein Mann in Hose, weißem Hemd und Reiterstiefeln rannte sie fast um, sah Lorentha, hob die Pistole in seiner Hand und drückte ohne zu zögern ab.
Fast war ihr, als könne sie die Kugel sehen, sie drehte sich zur Seite weg, schob in derselben Bewegung Bosco aus der Flugbahn. Die Kugel peitschte zwischen ihnen hindurch, um so nah an Boscos Gesicht in einen Balken einzuschlagen, dass einer der umherfliegenden Splitter ihm die Wange aufriss, doch Lorentha achtete schon nicht mehr darauf. Der Mann rannte, schlug Haken, doch Lorentha hob langsam die Hand mit der Pistole, zielte … und schoss.
Sie hätte ihn nicht treffen dürfen, er wich in dem Moment zur Seite aus, als sie abdrückte, doch dorthin hatte sie auch nicht gezielt, sondern dorthin, wo er sein würde. Die schwere Kugel traf ihn am Oberschenkel und warf ihn zu Boden, er schrie und fluchte und versuchte, kriechend zu entkommen. Langsam ging Lorentha auf ihn zu, die Pistole auf ihn gerichtet.
»Halt, wartet!«, rief er, als er ihre Marke sah, den goldenen Wolf erkannte. »Tut nichts Falsches, Hauptmann Mollmer war mein Freund!«
»Ich fürchte«, sagte sie kalt, während sie die leere Pistole von ihm wegtrat, »du hast da etwas falsch verstanden.«
Hinter ihr tauchten Vargil und Emlich auf, Letzterer mit einem blutigen Streifen an seinem linken Arm.
»Schnürt ihn zusammen«, befahl Bosco ihnen. »Aber achtet darauf, er wird noch ein …«
Es war ihr Fehler, meinte Lorentha später, dass sie die Unerfahrenheit Vargils nicht bedacht hatte. Nur darauf konzentriert, den Mann zu fesseln, trat der junge Gardist zwischen den Hurenhüter und Lorenthas Pistole. Er bemerkte seinen Fehler einen Lidschlag zu spät. Selbst Lorentha beobachtete nicht genau, was geschah, hörte nur Vargil aufstöhnen und sah, wie er sich krümmte. Als er zur Seite wegfiel, klaffte ihm die Kehle auf, aus der sich ein Sturzbach schäumenden Bluts ergoss. Der Hurenhüter hielt Vargils Pistole in der Hand, fest auf Lorentha gerichtet und drückte ab.
Die Welt wurde still und erstarrte, als Funken träge aus der Mündung krochen, und dann, in einer Wolke von Rauch und Feuer, die sich nur schwerfällig Lorentha entgegenwölbte, folgte der schwarze Schatten der Kugel, die sich drehend auf sie zubewegte. Es war nicht wie damals in der Kutsche, hier war es so, als ob ihr Körper aus Blei wäre, ihren Befehlen nicht mehr Folge leisten wollte.
Sie verstand nicht, was hier geschah, aber es bot sich ihr eine letzte verzweifelte Möglichkeit.
Dumm-de-la-de-la, pochte es in ihren Schläfen, als sie, viel zu langsam, Schwert und Pistole ihren Willen aufzwang und sie sich bewegten.
Dumm-de-la-de-la, pochte die Magie, als sich Form und Geste
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