Der Falke von Aryn
verächtlich. »Das Vieh ist aus massivem Gold mit über zwei Ellen Spannweite, und jeder kennt es. Kein Hehler würde es auch nur mit einer langen Zange anfassen, und wenn ein Dieb damit ertappt würde, würden ihn die aufgebrachten Gläubigen in der Luft zerreißen. Sie könnten das Vieh mit all seinen goldenen Federn und Edelsteinen direkt vor den Tempel auf den Platz stellen, und niemand würde es wagen, es auch nur zu berühren.«
Genau davon war sie ausgegangen.
Sie nickte. »Gut. Jetzt sage mir, was du von Gräfin Alessa weißt.«
Er pfiff leise durch die Zähne. »Du bewegst dich da in erlauchter Gesellschaft, Loren. Die Frau ist wahrscheinlich schon über sechzig Jahre alt, aber sie regiert die feine Gesellschaft hier in Aryn mit eiserner Hand. Angeblich reicht ein Blick von ihr, um für dich Türen zu öffnen oder sie dir auf ewig zu verschließen. Es geht schon seit Jahren das Gerücht, dass sie in irgendeiner Art für den kaiserlichen Geheimdienst tätig ist, aber außer dem Gerücht selbst gibt es wenig Anhaltspunkte dafür. Es gibt so schon eine Menge Tratsch über sie, auch wenn man im Hafen wenig genug davon zu hören bekommt, sie lebt in einer anderen Welt als meiner.« Er stutzte, um sie dann eindringlich zu mustern. »Aber es ist die deine, nicht wahr? Die Kleider, die du getragen hast …«
»Du hast sie mir gestohlen und sie noch am gleichen Tag verkauft«, lachte Lorentha.
»Ja«, nickte Raban ungerührt. »Wärest du weiter so herumgelaufen, hättest du den ersten Tag nicht überlebt. Aber sag … Lord Raphanael und die Gräfin … wer bist du wirklich, Loren?«
»Der Name meiner Mutter war Marie Evana Sarnesse«, gestand sie leise. »Sie war eine Baroness. So wie ich es bin. Die Geschicke ihrer Familie … unserer Familie sind seit Jahrhunderten untrennbar mit denen des Kaiserreichs verbunden.«
»Göttin«, hauchte er. »Ihr wart das? Ich hätte es mir denken können, ich habe dich ja nicht weit entfernt gefunden, aber ich hörte auch nie davon, dass ein Kind verschwunden war!«
»Man glaubte damals, man hätte mich entführt«, erklärte Lorentha.
»Dem war nicht so?«
»Nein«, sagte sie und beließ es auch dabei. Ihre Mutter hatte sie dorthin mitgenommen, nur warum sie das getan hatte, darüber grübelte sie nun schon seit Jahren.
Er nickte langsam. »Das erklärt es dann. Ich weiß noch, dass der Mord die Grundfesten der Stadt erschüttert hat. Es gibt haufenweise Gerüchte über Intrigen und geheimnisvolle Attentäter, aber nichts, auf das Verlass wäre.« Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Aber wenn du reich bist … warum bist du nicht verheiratet und hast drei Kinder an jedem Arm hängen und führst ein bequemes Leben?«
»Mein Vater hat es versucht«, meinte Lorentha lächelnd. »Ich wurde auf all den richtigen Bällen eingeführt und bekam zunächst auch viele Angebote. Einer meiner Verehrer wurde allerdings etwas zu schnell zu stürmisch und fand meine Antwort in etwa so erfreulich wie damals Visal. Es sprach sich herum, und er rächte sich, indem er behauptete, dass ich keine Jungfrau mehr wäre. Da ich den Gegenbeweis nicht antreten wollte, galt ich danach als verdorbenes Gut.« Ihr Lächeln wurde etwas härter. »Die feine Gesellschaft ist in dieser Hinsicht etwas pingelig.«
»Oh«, sagte Raban.
»Ja, oh«, lachte sie. »Aber keine Sorge, diese eine Nacht mit dir habe ich noch nie bereut.« Sie schob ihren Wein, den sie nicht angerührt hatte, von sich. »Ich melde mich«, teilte sie ihm mit und stand auf.
»Warte«, bat er sie und hielt sie mit einer Hand zurück. »Ich meine es ernst, Lorentha. Diese Menschen sind gefährlich. Was hast du mit ihnen zu tun?«
»Ach«, meinte sie nachlässig. »Man könnte sagen, dass sie mir eine Anstellung angeboten haben.«
Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich hoffe, du weißt, was du tust.«
»Das hoffe ich auch«, lächelte sie.
»Warte«, bat er sie erneut, als sie sich abwenden wollte. »Ich habe noch eine Frage.«
Sie hob eine Augenbraue.
»Ich weiß jetzt, dass du nie für das hier geboren wurdest«, sagte er leise und tat eine Handbewegung, die den Schiefen Anker und irgendwie auch den ganzen Hafen einschloss. »Eigentlich wusste es jeder, der dich kannte. Deine Manieren waren zu gut, du bist das erste Kind gewesen, das ich jemals mit Messer und Gabel essen sah. Aber … sag mir, hast du es bereut? Die Zeit hier, mit mir?«
»Du meinst diese sieben Jahre, in denen ich lernen musste, zu stehlen, zu
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