Der Falke von Aryn
Kleinigkeit, die der Gouverneur vergessen hatte zu erwähnen.
»So sagt man jedenfalls«, nickte Raban. »Allerdings habe ich noch nie davon gehört, dass er jemals Magie angewendet hätte.« Eindringlich musterte er seine alte Freundin, die so überraschend von den Toten auferstanden war. »Vor Jahren wurde seine Frau ermordet, und er bat König Hamil darum, ihn zum Sheriff zu machen, damit er den Mörder seiner Frau zur Strecke bringen konnte. Er brauchte nur zwei Monate, um den Kopf des Mörders vom Block rollen zu sehen.«
Block bedeutete das Schwert, also war der Mörder von Adel gewesen, stellte Lorentha fest. »Welchen Adelsrang besitzt Lord Raphanael?«
»Er ist ein Baron. Der Mann, den er zur Strecke brachte, war ein Graf«, sagte Raban und bewies wieder einmal, dass er ihren Gedanken folgen konnte. »Er scheut sich also nicht, sich auch mit den Mächtigen anzulegen. Lord Raphanael ist ein widersprüchlicher Mann, Loren«, fuhr er dann bedächtig fort. »Er gilt als Lebemann, der an keinem Rock vorübergeht, ohne ihn zu heben, zugleich aber sagt man ihm nach, dass er sich liebevoll um seine Tochter kümmert.«
»Er hat nicht wieder geheiratet?«, fragte Lorentha, und Raban schüttelte den Kopf.
»Nach allem, was ich hörte, fehlt es ihm nicht an Angeboten, im Gegenteil, er gilt als ein guter Fang, viele Mütter versuchen eifrig, ihm ihre Töchter vor die Füße zu legen, aber bislang hat er sich noch nicht fangen lassen. Er scheint diskrete Liebschaften zu bevorzugen.« Er lachte. »Es ist kurios. Die Gerüchteküche brodelt unablässig, beständig werden neue Namen mit ihm in Verbindung gebracht, es scheint den Damen sogar zum Vorteil zu gereichen, aber es gibt nie mehr als ein Gerücht. Wie ich schon sagte, ist er sehr diskret.«
»Was weißt du noch?«
»Er ist weit gereist und lebt dennoch zurückgezogen auf seinem Gut. Ich habe ihn noch nie gesehen, aber nach dem, was ich höre, ist er auf den ersten Blick nicht unbedingt eine beeindruckende Erscheinung. Ich hörte, er wäre eher zierlich, es mag sein, dass du ihn sogar überragst. Mehr Kopf als Muskeln, eher ein Gelehrter als ein Abenteurer, doch er ist kein Feigling … angeblich hat er sich vor Jahren sogar duelliert. So oder so, er hat nicht nur in Manvare Einfluss, sondern auch hier in der Stadt. Abgesehen davon gibt es sonst kaum etwas über ihn zu sagen. Er ist nach wie vor noch königlicher Sheriff, und letztes Jahr hat er eine Intrige am königlichen Hof aufgedeckt, die gleich drei Köpfe rollen ließ. Der Mann ist gefährlicher, als er aussieht, Loren.«
So, wie Raban von ihm sprach, wollte Lorentha das gerne glauben. Blieb die Frage, warum der Gouverneur der Meinung war, dass man ihn beschützen müsste.
»Was weißt du von dem Falken?«, fragte sie ihn, doch er sah sie nur verständnislos an.
»Welchem Falken?«
»Vom Falken von Aryn. Du weißt schon, der goldene Vogel, den man jedes Jahr durch die Straßen trägt.«
»Was ist mit ihm?«, fragte Raban. »Abgesehen davon, dass es ein Schlachtfest für die Taschendiebe ist, wenn er spazieren getragen wird.«
Also, dachte sie, wusste offenbar selbst Raban nichts von dem Diebstahl des Falken. Was dann entweder bedeutete, dass der Graf sie auch darin angelogen hatte oder dass es der Priesterschaft gelungen war, den Diebstahl bisher geheim zu halten. Albrecht hatte einmal gesagt, dass es nichts gäbe, das schwerer zu hüten wäre als ein Geheimnis; wenn zwei es wüssten, wäre es schon einer zu viel. Bislang hatte sich das auch mit ihrer Erfahrung gedeckt, mit ein Grund dafür, weshalb so viele Geheimnisse mit ins Grab genommen wurden.
Doch was für gewissenlose Mordgesellen galt, galt nicht für die Priesterschaft der Isaeth, sie würden sich wohl kaum gegenseitig abschlachten, um den Diebstahl geheim zu halten.
Abgesehen davon würde das nichts nutzen, der Falke saß für jeden sichtbar auf der erhobenen Hand der Göttin, deren Statue oben in ihrem Tempel stand. Wenn sie sich recht erinnerte, hatte der Künstler den Vogel im Moment der Landung abgebildet, mit weit gespreizten Flügeln und ausgestreckten Krallen, die sich in die ungeschützte Haut der Göttin zu bohren drohten. Wahrscheinlich war der Goldschmied davon ausgegangen, dass auch goldene Krallen einer Göttin nichts anhaben konnten.
»Träumen die Leute noch immer davon, den Falken zu stehlen?«, fragte sie unschuldig, was ihr nur einen scharfen Blick von Raban einbrachte.
»Niemand wäre derart blöde«, sagte er dann
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