Der Falke von Aryn
zufällig in einer Erinnerung versunken?«
Sie nickte.
»Eure Waffen, mag es sein, dass sich auf den Klingen silberne Runen befinden?«
Sie nickte erneut.
» Atanamés «, sagte er langsam und nickte. »Das erklärt es. Ihr habt von Eurer Mutter gesprochen, sagtet, dass man sie in den Rücken geschossen hätte, weil sie versuchte, Euch zu schützen?«
Sie nickte wieder.
»Also wart Ihr damals dabei … Eure Waffen auch?«
»Sie gehörten meiner Mutter«, sagte Lorentha langsam. »Sie hatte sie dabei. Wir wurden hier an dieser Stelle überfallen.«
»Diese Waffen sind dafür geschaffen, Magien zu leiten und zu fokussieren. Im Kaiserreich gibt es Frauen, die ein Talent besitzen, das nur über die weibliche Linie vererbt wird. Sie werden in einer ganz bestimmten Weise ausgebildet, die ihre Art der Magie mit Schwertkampf verbindet.« Er sah ihr direkt in die Augen. »Man nennt sie Valkyrie. Nach den Kriegsmägden der alten Götter. Walküren. Ihr müsst eine sein.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Aber meine Mutter gehörte zu den Walküren. Was hat das mit dem zu tun, was mir geschehen ist?«
»Es gibt eine Meditationstechnik, die es einem erlaubt, sich auf ein früheres Selbst zurückzuführen. Es ist wie eine Erinnerung, nur … mehr. Man ist die Person, die man einst war, und erlebt mit klarem Bewusstsein und Verstand alles noch einmal, was man zuvor schon erlebte.« Er schluckte. »Es braucht Jahre, um diese Art der Meditation zu beherrschen, und es besteht überdies die Gefahr, dass man sich in seinem früheren Ich verliert und den Weg nicht mehr zurückfindet. Wie ich schon sagte, es braucht Jahre der Ausbildung, um so weit zu kommen … oder aber starke Gefühle, ein Talent zur Magie und einen Atanamé , der sich schon damals am gleichen Ort befand. Und den Willen, sich zu erinnern. All das zusammen …« Er zuckte hilflos mit den Schultern. »Ihr könnt von Glück sagen, dass Ihr noch hier seid.«
»Wie meint Ihr das?«, fragte sie, während sie versuchte, zu verstehen, was er ihr eben gesagt hatte.
»Ob nun durch Meditation oder durch Magie, die Gefahr ist die gleiche, dass Ihr Euch in Eurem alten Selbst verliert. Es füllt Euch aus … und plötzlich seid Ihr neun Jahre alt …« Als sie überrascht aufschaute, lachte er leise. »Ich habe Euch nach dem Alter gefragt«, erinnerte er sie. »Das Problem ist, dass Ihr die damaligen Gedanken denkt und vergessen könnt, dass Ihr nicht mehr Euer altes Ich seid. Ihr müsst über zwanzig Jahre zurückgegangen sein und habt Euch trotzdem nicht verloren, Ihr wart, wenigstens zum Teil, noch hier.« Er zögerte. »Eure Wunde … Euer altes Selbst … das Kind, war es in der Vergangenheit bewusstlos?«
Sie nickte langsam.
»Das hat Euch gerettet«, sagte er mit belegter Stimme. »Nur das. Denn dadurch füllte sie Euch nicht mehr mit alten Gedanken und Gefühlen und ließ Euch mehr von Eurem heutigen Selbst. Wäre sie erwacht, während Ihr in ihr gefangen gewesen wart, hättet Ihr den Weg nicht mehr zurück gefunden. Nichts, das Euch in der Gegenwart widerfahren wäre, hätte Euch noch berühren können. Sera, Ihr habt das Glück der Göttin auf Eurer Seite gehabt! Also … tut Euch den Gefallen und versucht nicht, dieses Kunststück zu wiederholen. Ihr ließet hier in der Gegenwart nur eine seelenlose Hülle zurück!«
»Woher wisst Ihr das alles?«, fragte sie beeindruckt. »Ich halte mich nicht für ungebildet, aber …«
»Ihr kennt die Antwort«, sagte er sanft, während er sie auf eine seltsame Art anschaute, als wolle er ganz tief in ihre Seele blicken. »Denn Ihr solltet Euch mittlerweile denken können, wer ich bin. Von wie vielen manvarischen Adeligen wisst Ihr, die einem Orden der Magie angehören und die Grund haben könnten, sich des Nachts in einem Tempel herumzutreiben, dem ein Vogel abhandenkam? Ich jedenfalls weiß nur von einer Majorin der kaiserlichen Garda, deren Mutter genau hier vor über zwanzig Jahren in einer Kutsche ermordet wurde.«
»Oh, Götter!«, entfuhr es ihr. »Ihr seid …«
»Raphanael Tarentin Manvare«, sagte er mit einer eleganten Verbeugung. »Euer gehorsamster Diener, vorausgesetzt natürlich, dass Ihr mir versprecht, niemals auch nur mit einer Silbe zu erwähnen, dass Ihr bei unserem ersten Kennenlernen geglaubt habt, ich würde mich in einem Hurenhaus verkaufen. Denn das würde sogar meinen Ruf noch ruinieren!«
»Wusste jemand, dass Ihr die Absicht hattet, heute Nacht hierherzukommen?«, fragte er etwas
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