Der Falke von Aryn
fassungslos an.
»Was habt Ihr da eben gesagt?«, fragte Raphanael. »Dass die Diebe den Falken gegen die Kopie ausgetauscht haben?«
»Ja«, nickte der Kardinal. »Wenn man den Falken so gut kennt wie ich, ist es auch von hier unten aus klar erkennbar, dass das die Kopie ist«, erklärte er. »Die linke Schwinge …«
»Ich dachte, Ihr hättet die Kopie dort anbringen lassen, um den Diebstahl geheim zu halten?«, unterbrach Lorentha ihn.
Der Kardinal schaute sie erstaunt an. »Ich? Nein, wie kommt Ihr darauf? Die Diebe waren es! Auch wenn ich nicht verstehen kann, wie es ihnen möglich war. Selbst mit dem Kran hätten sie länger dazu gebraucht, als sie eigentlich Zeit gehabt haben, aber wir kamen noch gar nicht dazu, den Kran zu reparieren.«
»Welcher Kran?«, fragte Lorentha und sah sich suchend um.
Der Kardinal wies auf ein Gestänge an einer der Säulen nahe der Statue. »Dort«, sagte er. »Normalerweise führt ein Seil durch diese Rollen und in diese Trommel hier. Die Stange lässt sich hochschieben und klappt damit die Stange dort oben auf.« Er trat an das Gestänge heran und führte es vor. »Wenn man dann hier die untere Stange mit einem Bolzen festmacht, ergibt es den Kran«, erklärte er und drückte den Bolzen in das Gestänge. Schweigend sahen Lorentha und Raphanael nach oben. Jetzt war das Konstrukt auch gleich als Kran erkennbar, nur dass ihm das Seil fehlte.
»Wie lange ist das Seil denn schon unbrauchbar?«, fragte Raphanael ruhig.
Der Kardinal zuckte mit den Schultern und sah dann fragend zu Bruder Alfert hin.
»Seit knapp fünf Wochen«, antwortete der und schaute um Vergebung heischend zu Raphanaels Schwester hin. »Es ist aus Draht und recht dünn, die Drahtzieher brauchen eine Weile, um ein neues herzustellen. Sie haben uns allerdings versprochen, dass es noch vor der Prozession fertig sein würde.«
»Fünf Wochen? Seid Ihr Euch dessen sicher, Bruder Alfert?«, fragte Larmeth ungläubig.
»Ja«, sagte der. »Ich sehe zwar nicht mehr so gut, aber auf mein Gedächtnis ist noch Verlass. Ich weiß es, da ich den Auftrag für das neue Seil selbst geschrieben habe.«
»Damit habt Ihr die Erklärung für diesen wundersamen Raub«, teilte Lorentha dem Kardinal nun kühl mit.
»Ich verstehe nicht«, begann dieser und tupfte sich erneut die Stirn ab.
»Ich schon«, sagte Larmeth rau. »Der Raub fand schon vor über fünf Wochen statt. Wahrscheinlich ist den Dieben bei der Gelegenheit das Seil gerissen. Und Junker Ferdis war der Einzige von uns, der den Austausch bemerkte!«
Lorentha nickte langsam. »Ihm muss aufgefallen sein, dass an dem Falken etwas anders ist. Er wird seinen Augen kaum getraut haben. In Anbetracht der Ungeheuerlichkeit dieses Verbrechens dachte er sich wohl, dass es ihm die Göttin verzeihen würde, wenn er an ihr hochkletterte, um sich ganz sicher zu sein, dass sich ein falscher Falke dort befindet.«
Nur dass es nicht so aussah, als hätte sie ihm verziehen, dachte Raphanael bedrückt. Er schaute auf den Toten herab, auf den See von Rosenblättern, und seufzte.
»Ich glaube nicht, dass wir noch viel herausfinden werden«, sagte er dann bedrückt. »Aber ich denke, wir sollten die Gelegenheit jetzt nutzen, sonst hätten wir den armen Kerl umsonst vom Totenbett gezerrt.«
Bevor Lorentha fragen konnte, was er meinte, wandte sich Raphanael an seine Schwester.
»Mein Name ist Raphanael Tarentin Manvare«, stellte er sich formell vor.
»Ich weiß, wer du bist«, sagte sie, und schwaches Lächeln huschte über ihr Gesicht.
Raphanael warf ihr einen bösen Blick zu. »Es gibt Regeln«, teilte er ihr erhaben mit, um sich gerade aufzurichten. »Im Namen meines Ordens, der Hüter von Manvare, bitte ich um Erlaubnis einzutreten.«
Sie seufzte und sah bedeutsam zu den Tempeltoren hin. »Du bist schon drin«, meinte sie. »Aber ja, willkommen im Haus der Isaeth, Hüter.«
»Eure Eminenz, erlaubt Ihr mir, meine Fähigkeiten in den Dienst der Wahrheit zu stellen und im Haus der Göttin Magie zu wirken?«
»Es sei Euch erlaubt«, sagte Larmeth und seufzte. »Fertig?«
»Ja«, sagte Raphanael und bedachte sie mit einem tadelnden Blick. »Du warst schon immer zu ungeduldig, und dabei weißt du selbst, dass es nötig ist. Dafür, dass die Orden in Gotteshäusern um Erlaubnis bitten müssen, ist einst sehr viel Blut vergossen worden.«
»Hmpf«, meinte seine Schwester herrschaftlich. »Das war damals, und du wirst mich schon nicht in einen Frosch verwandeln wollen.« Sie tat
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