Der Falke von Aryn
dort.«
Der Novize schaute noch immer skeptisch drein und dann wieder zu der Göttin hoch. »Ich verstehe ihn«, meinte Lorentha leise. »Ich hätte es auch wissen wollen.«
»Nur, warum ist er nicht zu einem von uns gekommen?«, fragte der Kardinal, während sie zusahen, wie der Novize begann, vorsichtig an der Statue der Göttin hinaufzuklettern. Er war geschickt und achtete darauf, was er tat, dachte Lorentha, während sich ihr Herz zusammenzog, sie wussten ja alle, wie es enden würde; wie hatte er nur fallen können?
Sie erhielten ihre Antwort, als der Novize sich am Kopf der Göttin festhielt, um den Falken zu berühren, über den im gleichen Moment ein blaues Schimmern lief … und der sich in den anderen Falken verwandelte. Sie sahen, wie der Novize ungläubig zusammenzuckte … und den Halt verlor. Wie die junge Frau aufschrie, ohne dass ein Ton zur hören war, um zu dem Novizen hinzurennen und weinend ihre Arme um ihn zu schlingen, während sich zu ihren Füßen schon die rote Lache bildete …
Der geisterhafte Schein erlosch, als Raphanael seinen Stab langsam sinken ließ und wieder Tageslicht durch die Fenster fiel.
»Hättet Ihr nicht so gut geputzt«, sagte Raphanael bedrückt, »hätten wir ihre Spuren schon vorher in seinem Blut gesehen und gewusst, dass es jemanden gibt, den wir hätten befragen können.«
»Ja«, sagte der Kardinal mit belegter Stimme. »Das sehe ich jetzt auch.«
Die Hohepriesterin sah lange zu dem toten Novizen hin. »Alfert«, bat sie dann den alten Priester. »Lasst den armen Ferdis zur Andacht vorbereiten.«
Schweigend nickte der alte Mann, um dann davonzugehen, während sie fragend zu ihrem Bruder sah. »Das war also Magie«, bemerkte sie leise. »Nur … wie?«
»Ein Täuschungszauber«, meinte dieser rau und sah nun wieder zu dem Falken hoch. »Ein guter, jemand wusste, was er tat, der Zauber hält so lange, bis jemand ihn berührt.« Er sah zu den beiden Frauen hin und sah die Frage in ihren Augen. »Eine Täuschung wirkt auf die Sinne und auf jeden einzeln. Das Auge konnte so getäuscht werden, aber die Berührung nicht, deshalb löste sich der Zauber auf.« Er sah zu seiner Schwester hin. »Offenbar hat man diesmal nicht gefragt.«
»Aber wer?«, fragte Larmeth jetzt.
»Jeder Orden lehrt die Magie der Täuschung, sie ist mitunter nützlich«, antwortete Raphanael, während eine steile Falte auf seiner Stirn erschien. »Doch nur ein Orden glänzt darin. Die Bruderschaft. Ich weiß auch, wer es ist.«
Seine Schwester wusste es wohl ebenfalls. »Don Amos«, sagte sie mit rauer Stimme und sah fast schon furchtsam zu ihrem Bruder auf. »Das bedeutet …«
»Dass ich ihn finden und ihn stellen muss«, nickte Raphanael gepresst. Er sah zu Lorentha hin. »Ich erkläre es Euch später«, sagte er und warf einen Blick auf den Novizen. »Ich glaube, wir sind hier fertig.«
Auf der Suche nach dem Mädchen
14 Gemeinsam mit seiner Schwester schoben sie die schweren Tempeltore wieder auf. Nachdem sie sich von ihr verabschiedet hatten, folgte Lorentha ihm die Stufen hinab, dorthin, wo seine Kutsche stand.
»Dieses Mädchen wusste, dass es der falsche Falke ist, noch bevor Ferdis die magische Illusion zerstörte«, stellte Lorentha fest und sah zu den Häusern auf der anderen Seite des Platzes hin. »Wir sollten sie befragen.«
Larmeth, die mit ihnen die Stufen herabgekommen war, nickte. »Das erscheint mir sinnvoll«, sagte sie dann, während sie Lorentha musterte. »Aber in einem Kleid?«
Die Majorin unterdrückte einen Fluch. »Ja, in einem Kleid«, antwortete sie dann verärgert. Sie wandte sich an seinen Kutscher.
»Kastor?«
»Baroness?«
»Hat Er eine Pistole, die Er erübrigen kann?«
Wortlos griff der Kutscher unter seinen Mantel und reichte ihr eine seiner Pistolen. Es war eine dieser neuen Steinschlosspistolen, aber da es heute nicht regnete … Sie überprüfte die Füllung der Pulverpfanne und den Sitz des Feuersteins und nickte dann. »Danke«, sagte sie, um sich dann wieder den Geschwistern zuzuwenden. »Gehen wir.«
Raphanael nickte seiner Schwester zum Abschied höflich zu, und gemeinsam gingen sie über den weiten Platz, während Raphanael sie nachdenklich musterte.
»Gibt es denn irgendetwas, vor dem Ihr Euch fürchtet oder das Ihr Euch nicht zutraut?«, fragte er dann.
»Natürlich«, antwortete sie ihm erstaunt. »Sogar vieles. Wie kommt Ihr darauf, dass dem nicht so wäre?«
Er tat eine Geste zu ihrer Pistole hin. »Ihr wirkt immer so
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