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Der Falke von Aryn

Der Falke von Aryn

Titel: Der Falke von Aryn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Schwartz
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eine Geste zu dem toten Novizen hin. »Fang doch einfach an.«
    Dazu, dachte Lorentha fasziniert, fallen mir noch ein paar Fragen ein. Nur war jetzt wohl nicht der geeignete Moment.
    Raphanael tat eine Geste, als ob er etwas in der Luft ergreifen würde, und hielt plötzlich einen Kampfstab in den Händen, aus dunkel glänzendem, poliertem Eichenholz und mit jeweils einer stählernen Kappe an den Enden. Das war wohl der Stab, dachte Lorentha fasziniert, den ihm die Gräfin nach seiner Ordensprüfung geschenkt hatte. Irgendwie hatte sie ihn sich zierlicher vorgestellt, oder verziert, mit Runen oder anderen Zeichen der Magie. Doch es war ein massiver, schwerer, gut sechs Fuß langer Kampfstab, der, in den richtigen Händen, auch einen guten Schwertkämpfer in Bedrängnis bringen konnte. Er musste über ein ordentliches Gewicht verfügen, vor allem wenn er aus Eisenholz bestand, doch Raphanael hielt ihn locker in seinen Händen.
    »Fertig?«, fragte er und sah sich um. In den Gesichtern der Priester las Lorentha eher nur Bedenken, doch seine Schwester nickte entschieden.
    Lorentha wusste selbst nicht, was sie erwartet hatte, gemurmelte Zaubersprüche, Gesten, vielleicht ein Ritual, doch Raphanael sparte sich all das, er hob den Stab nur an.
    Schlagartig wurde es dunkel in dem Tempel, das Sonnenlicht, das durch die hohen Fenster hereingefallen war, war verschwunden, und durch die nun offenen Tempeltüren sah man die Nacht.
    Der Novize war nicht mehr da, auch die Blütenblätter gab es nicht mehr, dafür lag über allem ein fahler, geisterhafter Schein, der, wie Lorentha staunend feststellte, von ihnen selbst ausging, von Raphanael, seiner Schwester, den Priestern und auch ihr selbst, die nun ungläubig ihre durchscheinenden Hände besah, sie waren alle zu einem Geist geworden!
    »Dort«, flüsterte Raphanael und wies mit seinem Blick zum Tempeltor, wo nun zwei Gestalten herankamen, ein junger Mann, der lebend kaum Ähnlichkeit mit sich im Tode mehr besaß, und eine junge Frau in einem eher doch zu freizügigen Kleid, die aufgeregt zu diskutieren schienen. Zögerlich folgte das Mädchen dem Novizen über die Schwelle und wies dann hinauf zur Göttin, um auf den Novizen einzureden. Unwillkürlich folgte Lorentha der Geste des Mädchens und sah selbst zur Göttin auf, um daraufhin erstaunt zu blinzeln. Ihre Vermutung war wohl doch falsch gewesen, denn dort oben auf der Hand der Göttin glänzte der Falke in goldener Pracht, brach sich der Schein der Kerzen in den funkelnden Edelsteinen, die sein Gefieder schmückten. Dies konnte nicht der andere Falke sein, nicht so, wie er glänzte!
    Der Novize wies nun auch zum Falken hin, und sie konnten sehen, wie sich seine Lippen bewegten, doch kein Wort drang an die geisterhaften Zuschauer heran. Wieder schienen die beiden zu diskutieren, dann schaute er sich im leeren Tempel um, sagte etwas zu ihr und ging dann mit ihr zum Tempeltor, um es mit ihr gemeinsam zuzuziehen.
    »Also war er nicht allein«, sagte Lorentha leise, und Raphanael nickte. Seine Schwester sah nun ebenfalls hinauf zu dem Falken und runzelte die Stirn. Auch auf dem Weg vom Tempeltor zurück zum Altar schien sie auf ihn einzureden und zeigte wieder und wieder auf das Tier.
    »Ich wüsste zu gerne, was sie sagen«, flüsterte Larmeth.
    »Dass er ihr Glauben schenken soll, dass es nicht der echte Falke, sondern eine Täuschung ist«, sagte Bruder Alfert überraschend. Sie schauten ihn erstaunt an, und er lächelte verlegen. »Ich sehe nicht mehr gut in der Ferne«, gestand der alte Priester. »Meine Ohren sind ebenfalls nicht mehr die besten … aber manchmal, wenn ich jemandem auf die Lippen sehe, kann ich ihn verstehen.«
    »Aber das ist der echte Falke«, sagte Larmeth, und der alte Priester nickte. »Das sagt Ferdis gerade auch.«
    »Er hat sich schon entschlossen, als er das Tempeltor geschlossen hat«, stellte Lorentha leise fest. »Er will nur nicht, dass ihn jemand sieht.«
    Schweigend sahen sie zu, wie der junge Mann mit seinem Gewissen kämpfte, zur Göttin aufsah, dann das Tor im Zaun öffnete, um eine Hand auf das Podest zu legen … und zugleich zurückzuzucken.
    »Er sagt, es wäre Blasphemie«, sagte Alfert leise. »Sie sagt, sie weiß, dass der Falke gestohlen wurde.«
    »Wer ist sie?«, fragte Lorentha flüsternd.
    Es war Larmeth, die die Antwort gab. »Ich habe sie schon an der Tür von einem der Häuser auf der anderen Seite gesehen«, flüsterte die Hohepriesterin bedrückt. »Sie arbeitet wohl

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