Der Falke von Aryn
nur im Suff einem anderen gegenüber, bist du tot.«
Raban ignorierte die Drohung. Was nur bedeutet, dachte er, dass man sich an alles gewöhnen kann. Dennoch war er überrascht. »Das ist alles, wofür Ihr mich braucht? Damit ich Loren später davon berichte?«
Mort lächelte knapp. »Du siehst, deine Nützlichkeit für mich ist nicht allzu hoch bemessen.« Er musterte den Stapel leerer Blätter in der Mappe, nahm dann das Tintenfass und ließ einen Tropfen Tinte auf das oberste Blatt fallen und tat eine Handbewegung. Staunend sah Raban zu, wie sich die Tinte auf dem Blatt verteilte und die Form von Schriftzeichen annahm. Mort warf einen Blick auf den entstandenen Text, nickte wie für sich selbst und zog die Schubladen des Schreibtischs auf, bis er fand, was er suchte. Er überflog den Schriftverkehr des Bankiers, fischte ein anderes Blatt heraus und legte es neben das, auf dem die Tinte so wundersam geschrieben hatte.
»Es ist die gleiche Schrift«, teilte er Raban abwesend mit. »Aber er ist nicht der Mann, den das junge Fräulein sucht.«
Nun, dachte Raban, wenn der alte Mann wahrhaftig so alt war, wie er sagte, dann erklärte es auch, warum Loren für ihn das junge Fräulein war. Er musterte den alten Mann.
»Sagt«, bat er leise, »wollen wir nicht neu anfangen? Zumindest was Loren angeht, sind wir auf der gleichen Seite. Ihr bereitet mir eine Scheißangst, alter Mann, aber ich weiß, dass Ihr mich vieles lehren könntet. Wenn man mir erklärt, warum ich etwas tun soll, neige ich eher dazu, etwas tun zu wollen, als wenn man mich am Nacken aus dem Bett zieht oder man mich beständig in Todesangst versetzt!«
»Du willst mein Lehrling werden?«, fragte Mort und schien jetzt doch überrascht.
»Das habe ich nicht gesagt!«, begann Raban, doch dann hielt er inne, und seine Augen weiteten sich. »Würdet Ihr mich denn als Lehrling nehmen?«
Mort musterte ihn. Lange. Und noch länger. Eine Ewigkeit.
Raban zwang sich, still stehen zu bleiben und dem alten Mann direkt in die Augen zu schauen. Sein Herz raste, als stünde er im Begriff, über eine Klippe zu springen.
»Vielleicht«, sagte Mort und schüttelte dann erheitert den Kopf. »Wenn du das hier überlebst. Aber nur, weil du mich an jemanden erinnerst, den ich einst kannte.«
»An wen?«
»Du musstest das jetzt fragen?«
Raban zuckte mit den Schultern.
»An einen jungen Burschen, der auch dachte, er wüsste alles besser«, meinte Mort mit einem feinen Lächeln. »An mich.«
»Eines ist sicher«, sagte Raban, bevor er seine Zunge bremsen konnte. »Viel geändert habt Ihr Euch nicht.«
Tja, dachte Raban, als er fassungslos zusah, wie Mort anfing zu lachen, so sehr lachte, dass ihm die Tränen aus den Augen liefen, auf die alten Legenden ist doch kein Verlass, denn nirgendwo wurde auch nur im Ansatz erwähnt, dass Todeshändler überhaupt lachen konnten !
Er wartete, bis der alte Mann sich wieder gefangen hatte. »Gut«, sagte er dann. »Warum ist er nicht der Mörder? Das ist doch sein Geständnis, oder nicht? In seiner Hand verfasst?«
»Komm her und lies diese Zeile«, befahl der alte Mann, und Raban trat an den Schreibtisch heran. »Du kannst doch lesen?«
»Loren hat es mir beigebracht«, gab er abgelenkt Antwort.
»… um meine Schuld zu verschleiern, entschloss ich mich dazu, mich meines Problems zu entledigen und heuerte fünf Söldner der Stillen Gilde an …«, las Raban etwas mühevoll, um sich zugleich zu beschweren. »Götter, der Mann war ein Bankier, was für eine Klaue!«
»Und jetzt das. Hier schreibt er an einen seiner Buchhalter.«
»… und wenn Er noch einmal versucht, etwas vor mir zu verbergen, kann Er sicher sein, dass Er im Armenhaus ein Ende finden wird!«
Raban sah Mort fragend an.
»In diesem Brief an seinen Buchhalter war unser toter Freund sehr direkt und benutzte das Wort ›verbergen‹. Doch derjenige, der ihm dieses Geständnis diktierte, legte ihm das Wort ›verschleiern‹ in den Mund und sprach umständlich und geschwollen«, erklärte Mort. »Aber wir werden auch so beweisen können, dass der Bankier nicht der Mörder ist.«
»Und wie?«, fragte Raban neugierig.
Der Mann trat an die blutbeschmierte Wand, bohrte seine Finger in das Einschussloch und grub das, was von der Kugel übrig war, aus dem Putz heraus. Er wischte Dreck, Blut und anderes ab und legte die platt gedrückte Kugel auf den Tisch, um dann unter sein Wams zu greifen und aus einem Beutel eine andere verformte Kugel herauszunehmen. Sie
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