Der Falke von Aryn
zu dem Sekretär, der nicht zu wissen schien, was er jetzt tun sollte. »Ihr leistet wahrhaftig gute Arbeit!«
»Danke, Ser«, sagte Meister Fellmar und schaute hilflos auf den Aktenberg auf seinem Tisch herab, als wüsste er nicht mehr, wo der hergekommen war.
»Ich nehme an, es ist verboten, Akten der Garda zu entfernen?«, fragte Raphanael höflich, als er ihr die Tür seiner Kutsche aufhielt.
»Natürlich«, antwortete sie abgelenkt und wickelte bereits das Schließband von der ersten Akte ab. »Hier«, meinte sie und reichte ihm die zweite Akte.
»Wonach suche ich?«, fragte Raphanael.
Sie schaute auf. »Barlin?«, rief sie.
»Ja, Sera?«
»Zur Garda, bitte.«
»Ja, Sera!« Die Kutsche zog an.
»Er ist mein Kutscher, wisst Ihr?«, merkte Raphanael milde an.
Sie sah kurz auf und schenkte ihm ein breites Grinsen. »Ist er nicht. Wir sind alte Freunde, hast du das vergessen? Waren wir nicht beim Du?«
»Ich vergaß es«, lachte Raphanael. »Du musst wissen, dass die Frau Majorin mir noch unbekannt ist.«
»Du gewöhnst dich daran. Es hat damit zu tun, dass Unsicherheit sich auf Untergebene auswirkt; scheint man selbst unsicher, verunsichert man auch sie. Also ist es geschickt, so aufzutreten, als hätte man alles im Griff. Man darf nur nicht vergessen, dass es nicht so ist.« Sie seufzte und sah einen Moment lang an Raphanael vorbei ins Leere.
»Was ist?«, fragte er.
»Albrecht hat das immer gesagt. Herzog Albrecht. Er hat mir das meiste von dem beigebracht, was ich weiß.« Sie wies auf die Akte, die Raphanael in den Händen hielt. »Beschwerden und Petitionen in Bezug auf die Garda. Schau einfach, ob dir etwas auffällt.«
»Raph«, rief Barlin nach einer Weile vom Kutschbock herunter. »Wir sind gleich da. Soll ich vorfahren?«
Raphanael sah Lorentha fragend an. Sie schüttelte den Kopf, ohne von den Akten aufzusehen, und drehte das nächste Blatt, um weiter an ihrer Unterlippe herumzukauen, während ihre Augen über den Text huschten.
»Nein«, rief Raphanael zurück. »Halte am Straßenrand und gib uns noch etwas Zeit.«
Sie warf einen Blick auf das nächste Blatt, seufzte dann und lehnte sich im Polster zurück, um sich die Augen zu reiben und dann Raphanael fragend anzusehen.
»Hast du etwas gefunden?«
»Dafür, dass der Ruf der Garda so schlecht ist, habe ich wenig Beschwerden gefunden«, sagte er. »Dafür eine Menge Anträge von einem gewissen Leutnant Serrik, dessen Unterschrift offensichtlich gefälscht ist, sie sieht immer gleich aus.«
»Was für Anträge?«
Raphanael blätterte in seiner Akte. »Gesuch um Gewährung von Mitteln für die Säuberung des Brunnens. Gesuch von … er beantragte Geld für Reparaturen. Wenn es nach diesen Anträgen geht, müsste die Garda eigentlich nur noch eine Ruine sein.«
Lorentha erinnerte sich an den Anblick der einst stolzen Gebäude. »Das ist nicht weit entfernt von der Wahrheit. Jedenfalls bezweifle ich, dass dieser Leutnant Serrik auch nur ein Kupfer für die Garda ausgegeben hat.«
»Ich ebenfalls«, sagte Raphanael. »Es wurden keine Mittel gewährt.«
Lorentha sah überrascht auf. »Die Garda ist eine kaiserliche Einrichtung, die dem zivilen Verwalter einer Stadt untersteht. Es wäre Graf Mergtons Pflicht, ihnen Mittel zur Verfügung zu stellen.«
»Nun, er tat es nicht. Interessanter ist allerdings etwas anderes.« Er hob die Akte an und ließ sie wieder auf sein Knie fallen. »Die Petition für das Begräbnis von Hauptmann Mollmer. Sie wurde ebenfalls von diesem Leutnant Serrik gestellt. Wie meine Schwester schon sagte, viermal. Die Unterschriften unter diesen Petitionen scheinen mir keine Fälschungen, sie sind weit flüssiger geschrieben und unterschiedlich. Ansonsten habe ich nur ein paar Beschwerden der Anwohner in der Nähe der Garda, über ungebührliches Verhalten, Trunkenheit und Belästigung. Was hast du?«
»Eine Menge. Hauptmann Mollmer griff wohl sehr hart durch«, sagte Lorentha grimmig. »Wenigstens wenn es nach den Unterlagen geht. Er war schnell darin, zu degradieren oder Disziplinarstrafen anzuordnen, meist mit der Begründung, seine Untergebenen hätten Meuterei versucht. Viermal hat er die Todesstrafe verhängt, einmal wurde sie vollstreckt, die drei anderen Male hat der Gouverneur sie in unehrenhafte Entlassungen verändert. Raphanael, nach diesen Unterlagen besitzt die Garda zur Zeit eine Stärke von neun Soldaten!«
»Wie viele sollten es sein?«, fragte er überrascht.
»Bei einer Stadt dieser Größe?
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