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Der Fall Carnac

Der Fall Carnac

Titel: Der Fall Carnac Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel-Aimé Baudouy
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aller Eile sein Zelt abbrechen, und wir sind aus unsern Schwierigkeiten heraus.«
    Die beiden Jungen waren den Hang hinaufgefahren und hatten den Rand des Feldes mit den Menhiren an der Straße nach Quiberon erreicht.
    Die Sonne war untergegangen. Um diese Stunde waren die geheimnisvollen Steinreihen am eindrucksvollsten.
    All diese unbeweglichen Silhouetten, von denen einige an menschliche Gestalten erinnerten, schienen nur auf ein Zeichen zu warten, um sich miteinander in Bewegung zu setzen und — wer weiß? — wieder zu Männern, Frauen, Kindern zu werden...
    Und da saßen auch schon drei Kinder am Rand des Straßengrabens, und ihre Kleider verschmolzen mit dem Grau des Heidekrauts. Als die beiden Radfahrer näher kamen, erhoben sie sich jäh. Peter zitterte, und selbst Ludwig fuhr zusammen, so daß sein Rad einen Bogen auf der Straße beschrieb.
    Die Kinder riefen ihm etwas zu, worauf Ludwig im Weiterfahren antwortete.
    »Guten Abend!« schrie Peter aufs Geratewohl zurück, weil er von den gewechselten Worten nicht das geringste verstanden hatte.
    Die Kinder riefen noch einmal in ihrem gaumig klingenden Dialekt. Ludwig drehte sich jäh um und warf ihnen mit lauter Stimme eine rasche Antwort zu. Dann umfaßte er den Lenker fester und trat kräftig in die Pedale.
    »Rasch! Sie wollen Steine werfen.«
    Es kamen keine Steine, dafür aber langgezogene Rufe, auf die irgend jemand in der Feme Antwort gab.
    »Was haben sie denn?« fragte Peter.
    »Ich erkläre es dir nachher«, erwiderte Ludwig.
    Er spähte scharf die dunkle Straße hinab. Doch er entdeckte nichts als die beiden roten Lampen eines weit vor ihnen am Straßenrand haltenden Wagens in der sinkenden Nacht.
    Die Begegnung aber fand viel früher statt. Plötzlich erschienen drei, vier schattenhafte Gestalten auf der Straße und versperrten ihnen den Weg. Diesmal setzte Ludwig die Füße auf die Erde, und Peter tat es ihm nach.
    Vor ihnen stand ein Mädchen von etwa zwölf Jahren, von drei kleineren Kindern — Jungen oder Mädchen — umringt, die weit jünger waren.
    Die Älteste trat den Radfahrern entschlossen entgegen. Sie war groß und schlank und hatte ein Gesicht mit vorspringenden Backenknochen, die ihr das Aussehen einer Katze verliehen.
    Sie warf einen Blick auf Peter, den sie nicht kannte, knurrte etwas vor sich hin und ging auf Ludwig zu. Nun entspann sich eine leidenschaftliche Auseinandersetzung, an der die Kleineren bisweilen teilzunehmen versuchten. Doch das Mädchen gebot ihnen mit einem kurzen Wort Schweigen und setzte das Gespräch fort, das sie mit kleinen Bewegungen der schmalen Hand unterstrich.
    Ludwig erwiderte mehrmals entschieden und bestimmt: »Doch! Doch!« und nickte bekräftigend mit dem Kopf.
    Und das Mädchen entgegnete: »Nein! Nein!« Dabei schüttelte sie sehr energisch den Kopf.

    Weiter verstand Peter nichts von der Auseinandersetzung. Ludwig beharrte auf irgend etwas, was das Mädchen bestritt. Ihre Stimme war gleichbleibend, der Ton ernst und nachdrücklich. Es war nicht eigentlich Zorn, sondern eher unbedingte Überzeugung, die aus ihren Worten sprach. Ihre Augen schienen im Eifer der Auseinandersetzung größer geworden zu sein, und bisweilen trat ein hartes Lächeln auf ihre Lippen, von einem verächtlichen Achselzucken begleitet.
    Obwohl Peter nichts von dem verstand, was sie sagte, konnte er es nicht verhindern, daß er sie bewunderte; und insgeheim fand er, daß sie im Recht sein müsse. Nach einer letzten leidenschaftlichen Gebärde kehrte das Mädchen Ludwig jäh den Rücken, drückte die Kleinen an sich und entfernte sich quer durch die Reihe der Steinsäulen.
    Ludwig sprang sofort auf sein Rad und trat wütend in die Pedale; dabei stieß er weiter bretonische Ausrufe aus, während Peter, den plötzlich eine unbändige Lust zu lachen ankam, sich vorsichtshalber drei Radlängen hinter ihm hielt.
    »Was wollte das Mädchen denn von dir?« fragte er schließlich, als sein Freund sich beruhigt hatte.
    »Ach, das ist eine alte Spinne! Die weiß nicht, was sie redet.«
    Peter begriff, daß Ludwig nicht über die Sache sprechen wollte.
     
    Line wachte auf. Ihre Augen folgten dem schrägen Strahl, der sich durch das verdunkelte Zimmer zog und eine große rote Blüte auf der Tapete beleuchtete.
    Das rote Zimmer, Anne, Ludwig, Loute... Line besann sich auf alles.
    Vorsichtig befreite sie sich aus Genovevas Armen, die neben ihr schlief, zusammengerollt wie eine kleine Katze.
    Annes Bett war leer. Nebenan, im Zimmer der

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