Der Fall D. - Eine Stalkerin packt aus
er
überhaupt mit mir redete, dass mir der Inhalt seiner Sätze egal war.
Das
Schlechte bog ich mir so lange zurecht, bis es gut war. Alles bog und
interpretierte ich so für mich, dass es sich als Zuneigung für mich erwies. Und
was sich nicht biegen ließ, „gollte“ ich mir abends in meinem Bett und in der
Dunkelheit passend und schön. Mittlerweile hatte ich ein großes Repertoire an
Musikstücken auf Platten oder Kassetten und jedes Lied war einer eigenen Fantasiegeschichte
zugedacht. Wehe, wenn dann irgendwer mein Zimmer betreten wollte – niemand
durfte mich in diesen Momenten in die Realität zurückbringen.
Durch
die Nachlauferei hinter Armin her machte ich mich immer lächerlicher. Linda
fand das selbstverständlich auch nicht immer lustig, trotzdem war sie rege
daran beteiligt, einen Schlachtplan mit mir zu entwickeln, wie man ihren Bruder
und mich miteinander verkuppeln könnte. Aufgrund unseres Alters war das auch
eine spannende Sache, deren Konsequenzen wir beide weder erahnen konnten noch
war Linda fähig zu erkennen, was wirklich in mir tobte und wie schlecht es mir
dabei auch ging. Wir waren noch Kinder.
Dann
kam der Tag X. Nach unzähligen Blamagen und Demütigungen seinerseits, nach unendlich
vielen strafenden Blicken meiner Brüder und nach zig Aufforderungen meiner Mutter,
ihn doch einfach in Ruhe zu lassen, war es so weit. Ich übernachtete für ein
langes Wochenende bei meiner Freundin, schlief allerdings nicht, wie sonst, in
ihrem Zimmer, sondern bekam das Zimmer ihres Bruders Jens zugewiesen. Er war an
dem Wochenende nicht zu Hause. Linda erklärte mir ihren Plan. Armin würde sich
immer, wenn er heimkam, rasieren, egal, wie spät es sei. Wenn wir also sein
Rasierzeug in Jens’ Zimmer deponierten …
Es
war dunkel. Ich hörte Schritte auf der Treppe und mein Herz schlug bis zum
Hals. Armin! Er ging in das Zimmer nebenan, um gleich darauf laut schimpfend wieder
rauszukommen. „Wo ist mein Rasierzeug? Hat das der Jens wieder geklemmt!“ Die
Tür ging auf, das Licht wurde angeknipst.
„Oh,
kleine Danny. Was machst du denn hier?“ Er roch stark nach Alkohol und er war
auf einmal freundlich zu mir. Sehr freundlich. Das Licht ging wieder aus, aber
er stand noch im Zimmer. Ich spürte dicht neben mir seinen Atem. Ich war
glücklich. Jetzt will er bestimmt mit mir gehen und wird mich gleich fragen …
Seine
„Spiele“ mit mir zogen sich über alle drei Nächte, in denen ich dort schlief. Er
versuchte sich an mir und probierte sich aus. Er orderte, wie und woran ich
„es“ zu tun hätte und ich spielte mit. Ich weiß bis heute nicht genau, was ich
dabei gefühlt habe. Ich glaube, ich war einfach nur glücklich, dass er bei mir
war. Ich war der festen Überzeugung, dass ich jetzt seine Freundin sei, und war
überglücklich. Mein kleiner, aber schon recht früh entwickelter Kinderkörper
war mit völlig egal. Bis zur dritten Nacht.
„Man,
jetzt stell dich doch nicht so zickig an, du dumme Kuh!“ Er presste mich mit seinem
ganzen Gewicht gegen die Wand und versuchte dabei in mich einzudringen.
Plötzlich hatte ich Angst. Ich wollte das nicht. Bisher kannte ich kaum
Grenzen, aber diesmal läutete in mir eine Alarmglocke, die schrie: „Lass das
nicht zu!“
Ich
wehrte mich mit Händen und Füßen, aber in meiner Verzweiflung, ihn dadurch zu verlieren
und nicht mehr seine „Freundin“ sein zu dürfen, bekam ich große innere
Konflikte. Doch die Angst war so groß, dass ich ihm sagte, wenn er damit nicht
aufhört, würde ich seine Eltern oder Tante Lisi rufen. Er ließ von mir ab und
verließ wutschnaubend mit den Worten „Leck mich doch am Arsch, du blöde Ziege“
das Zimmer. Ich heulte die ganze Nacht und hatte das Gefühl, als hätte ich
hohes Fieber. Und ich fühlte mich so verdammt schuldig.
Mit
elf Jahren.
Wochen
später verpasste Armin mir vor der gesamten Clique einen derart festen Tritt in
den Hintern, dass mein Steißbein brach. Ich konnte vor Schmerzen monatelang
nicht richtig sitzen, redete aber aus Scham nicht darüber. Die körperlichen Schmerzen
verschwieg ich, versuchte allerdings die seelischen meiner Mutter auf sehr
kindliche Art zu vermitteln. Doch sie hat nie tiefer geforscht und zeigte sich
unsicher und überfordert. Über solche „peinlichen Dinge“ war einfach nicht
offen mit ihr zu reden.
Meine
Brüder straften mich, nachdem sie mir einen riesigen Anschiss für diese
„Nachlaufrei“ verpasst hatten, mit Nichtachtung. Mit noch mehr Nichtachtung
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