Der Fall D. - Eine Stalkerin packt aus
es Jahre gewesen, stand Milosh vor der Tür. Ich war
überglücklich und all meine Traurigkeit war wie weggeblasen. Geblieben war nur
die Angst. Die Angst vor dem, was noch kommt, und die Angst ihn zu verlieren.
So
oft es möglich war, trafen wir uns wieder heimlich. Meistens stahl er sich von
zu Hause weg, um mich in der Stadt zu treffen. Alle Unbeschwertheit der zarten
Teenagerliebe war weg. Wir mussten aufpassen. Ständig und überall.
Sonntag.
Mittagessen im Elternhaus meiner Cousine. Milosh und ich hatten geplant, uns am
Nachmittag heimlich zu treffen. Das Telefon klingelte.
„Daniela,
es ist für dich. Eine Leena Stojka“.
Mein
Onkel warf mir einen wenig begeisterten Blick zu, denn er mochte es nicht, beim
Mittagessen gestört zu werden.
Ich
ging in sein Büro und nahm den Hörer auf. Es war Miloshs Cousine Leena. Ich hörte
ein lautes Schluchzen und Weinen.
„Was
hast du denn? Was ist denn passiert?“
Es
war wie ein Schlag mit der Keule ins Gesicht.
„Der
Onkel Gabor hat die Tante Zita (Miloshs Mutter) erschossen!“
Mir
war, als ob mir jemand den Boden unter den Füßen wegzieht. Da ich Leena mittlerweile
gut kannte und wusste, dass sie jemand war, der log, bis sich die Balken bogen,
konnte ich ihr, obwohl sie so weinte, kein Wort glauben. Ich wollte es auch gar
nicht.
Ich
ging wie ferngesteuert zurück in die Küche und stammelte: „Ich muss weg.“
Mein
Onkel hat mir später erzählt, dass ich in diesem Moment weiß wie eine Wand
gewesen bin ...
Im
Hause Stojka war alles versammelt, was Rang und Namen hatte. Geschockte
Gesichter. Man schickte mich nach ein paar Minuten wieder weg und ich fühlte
mich endlos allein.
Miloshs
Vater kam in U-Haft. Er hatte sich sofort nach seiner Tat der Polizei gestellt.
Die fünf von den neun Kindern, die noch zu Hause wohnten, wurden über das gesamte
Bundesgebiet bei Verwandten verteilt und untergebracht.
Milosh
brachte in einen Ort gut 70 Kilometer von meinem Wohnort entfernt.
Von
da an war der Kontakt zwischen uns unmöglich und unüberwindbare Hürden taten
sich wie Krater vor uns auf.
Ich
litt, ich aß nichts mehr, ich trank nichts mehr, ich wollte sterben! Aber ich
war zu feige. Alle Telefonate von mir zu ihm wurden sofort unterbunden. Alle
Mitglieder der Familie legten sofort den Hörer auf, sobald sie meine Stimmer hörten.
Es war ein Albtraum, aus dem ich nicht wach wurde.
Ich
lief von zu Hause weg. Setzte mich mit dem letzten Taschengeld in einen Bus und
hoffte, Milosh auf dem Jahrmarkt zu treffen. Irgendwo bei den Schaustellern.
Stundenlang saß ich vor dem Kettenkarussell und starrte ins Leere. Er war weg.
Weit weg!
Ich
hatte kein Geld für die Heimfahrt und so ging ich am Abend auf die nächste
Polizeidienststelle. Dort wurde ich von meinen Eltern abgeholt.
Ich
bekam keinen Ärger, und selbst wenn, es wäre mir völlig egal gewesen. Ich
fühlte mich leer und tot.
Die
Zeit, die dann folgte, war der Vorgeschmack zur Hölle. Ich schleppte mich von
einem Tag zum nächsten. In meinem Zimmer war es dunkel und die Musik trug mich
in eine andere Welt ...
Dann
kam der Tag, an dem ich ihn wiedersah. Nach sechs langen Wochen. Er stand auf
einmal vor der Tür meines Onkels – an dem Tag war ich eher zufällig da. Ich
erkannte ihn kaum wieder. Sie hatten sein Kleidungsstil komplett verändert und
sah mit seiner schwarzen Stoffhose, dem weißen Hemd und der braunen Lederjacke
aus wie ein alter Mann. Aber noch viel schlimmer war, das was ich in seinem
Gesicht entdeckte: Traurigkeit und Hilflosigkeit. Er war in diesen Wochen um
Jahre gealtert.
„Ich
muss gleich wieder gehen, ich habe mich heimlich weggestohlen. Mein Onkel hat
bei uns im Haus noch was zu erledigen und fährt gleich wieder zurück. Ich hatte
gehofft, dich hier zu treffen.“
Das
war das Letzte, das er zu mir sagte, bevor er mir am Telefon unterbreitete, er
hätte sich neu verliebt. Es war im Dezember 1980, wenige Tage vor meinem 15. Geburtstag.
Sie hieß Avelke und war Mitglied bei den Zeugen Jehovas, zu dem auch der
Zigeunerclan gehörte. Sein Cousin Hans hatte die beiden miteinander verkuppelt
und mich somit ins Abseits befördert. Meine Welt brach zusammen und ich starb
innerlich bei lebendigem Leibe.
Es
gab einige wenige Momente, in denen ich Milosh noch mal sah. Einmal rief mich
eine Freundin aufgeregt an. Ich kam grade von der Schule nach Hause. „Du, Milosh
sitzt mit seinem Onkel im Fass.“ Das Fass war die Kneipe, in der wir damals das
Kartenspiel „Ratschen“
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