Der Fall D. - Eine Stalkerin packt aus
mit dem Taxi zu Rudis Elternhaus, bewaffnet mit einer riesengroßen
Hibiskuspflanze, die ich vorher in der Gärtnerei für viel Geld gekauft hatte. Rudi
mochte diese Pflanzen, er hat es mir irgendwann gesagt.
Ich
wog nur noch 56 Kilo. So stand ich da, vor ihm. In seinem Betrieb. Er schaute
mit musternden Blicken an mir runter und wischte sich die Hände an der
Arbeitshose ab. „Mensch, du hast ja abgenommen. Das sieht ja spitze aus!“ Dann
sagte er, ich müsse jetzt heim und er weiter arbeiten ... Offen gesagt, ich
kann mich nicht mehr daran erinnern, ob er mich nach Hause gefahren hat oder ob
ich mir ein Taxi rufen musste. Ich weiß es einfach nicht mehr. Ich kann mich
nur noch daran erinnern, dass dieser Sommer unendlich heiß war, aber für mich
war alles grau und kalt.
Ich
wurde immer rebellischer. Meine Mutter wurde mit mir nicht mehr fertig und so
schmiss sie mich eines Tages raus. Für kurze Zeit zog ich zu meinem Vater, es
war eine einzige Katastrophe. Eine Katastrophe für mich.
Meine
Mutter nahm mich mit der Option wieder auf, dass ich etwas Sinnvolles tun
müsste. Sie besorgte mir zwei Lehrstellen, die ich beide nach einer Weile
wieder hinwarf. Dann lernte ich den Bruder unserer Vermieterin kennen. Rocky.
Keine Liebe für mich, einfach nur irgendjemand. Ich schlief mit ihm und war
nicht dabei. Außer einmal. Das war das erste Mal, dass ich einen Joint rauchte.
Als ich danach mit ihm schlief – ich war total bekifft –, kamen Gefühle in mir
hoch, die ich vorher noch nicht erlebt hatte. Sie waren unglaublich schön. Meine
Mutter hatte, was mich betraf, längst resigniert und lebte, so gut es eben
ging, ihr eigenes Leben.
Ich
hatte Rudi noch nicht vergessen. Ich liebte ihn immer noch. Aber ich wusste
nicht mehr, wo ich hingehen sollte. Ich wollte einfach weg! Irgendwohin. Am
liebsten nach Israel. In das Land, von dem ich schon immer geträumt hatte. Von
klein auf. Mein Vater hat dort 19 Jahre gelebt und ich habe mich danach gesehnt,
auch dorthin zu gehen. Mit 15 Jahren war ich für zwei Wochen bei einer
Gastfamilie in Tel Aviv ... und ich war schon so oft dort, wenn es in meinem Zimmer
dunkel war und ich israelische Platten hörte. Immer und immer wieder, als ich
ganz klein war und meine Haare auf dem Kopf dabei verfilzten ...
Ich
wollte für Rudi eine andere werden, in Israel!
Also
beschloss ich, für ein halbes Jahr in ein Kibbuz zu gehen und meine Mutter
organisierte alles Notwendige dafür. Ich bekam einen Platz im Kibbuz Yagur, acht
Kilometer von Haifa entfernt.
Die
Abba-Kassette. Im Dunkeln. Ich versprach Rudi, ein anderer Mensch zu sein, wenn
ich nach dem halben Jahr zurückkomme. Ein Mensch, den er lieben kann. Jemand,
der schlank und sportlich ist. Ich schaukelte stundenlang, tagelang, ich weinte
ohne Unterbrechung, ich hungerte, ich fraß. Ich klinkte mich aus und flog mit
ihm in eine andere Welt. In eine Welt, wo es keine Tränen gibt ...
Eva - 2007
Die
Sache mit dem Aussehen gibt mir zu denken. Bisher ist es kein wirkliches Thema
zwischen uns gewesen, ich kenne Daniela nicht als „Dicke“, vielleicht mal mit
mehr, mal mit weniger Kilos. Jetzt sieht sie verdammt krank aus in ihrer
Dürrheit. Der frühe Sommer 2007 hat sie gebräunt zu einer Zeit, als sie sich
von ihrem letzten Krankenhausaufenthalt erholen will, und die eingefallene
Haut, der jedes Gramm Fett entzogen wurde, wirkt an vielen Stellen alt und
verlebt. Dass sie sich so zum Affen unter diesem Rudi gemacht hat, ist für mich
nicht nachvollziehbar. Jede ihrer Lieben ist bisher die größte gewesen und nach
jeder Trennung kam das große Loch, aus dem es für sie erst einmal kein Herauskommen
mehr gegeben hat. Und doch war es jedes Mal wieder ein Sekundenbruchteil, der
sie wie eine Rakete vom Höllenschlund in himmlische Sphären geschickt hat. Es
ist mir fast schon unheimlich, mit welcher Leidensmine sie ihre Geschichten
teils erzählt, teils aufschreibt, und wie locker-leicht wir zwischendurch über
das Wetter, meine Familie, gemeinsame Bekannte oder sonst was völlig Banales
sprechen können. Als wären da zwei Menschen in einem. All die Tragik ihres
Lebens, die sie wie ein Hollywoodstar interpretiert, ist wie weggewischt vom
easy way of life, mit dem sie Espresso kochen geht, Zitate aus Büchern
konzentriert heraussucht und die wichtigen Sätze mit ihren teils abgekauten
Fingernägeln unterstreicht oder rhythmisch zu einem Lied auf und ab wippt und
singt, das im Hintergrund läuft. Ich sehe sie
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