Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
verhindern wollte, habe sie den Buben energisch vor sich her nach Hause geschoben. Dort klingelte sie und erzählte den Eltern, was sie gesehen hatte.
Die Mutter des Jungen meldete den Vorfall zwar der Polizei, teilte aber sogleich mit, sie wolle keine Anzeige erstatten, es sei ja nichts weiter passiert. Der Beamte, der den Anruf entgegennahm, mag unaufmerksam gewesen sein, jedenfalls schrieb er fälschlicherweise ins Protokoll, es sei Ulvis Mutter gewesen, die ihn angerufen habe. Und er verwechselte auch, wer von den beiden die Hose heruntergelassen hatte, und schrieb, es sei der Junge gewesen und nicht Ulvi.
Am nächsten Tag schickte die Kripo Hof früh am Morgen zwei Beamte zu Frau Langnickel. Sie schilderte noch einmal, was sie schon den Eltern des Jungen erzählt hatte. Gleich danach fuhren die Polizisten zu Ulvi und nahmen ihn mit auf die Wache, wo er den Vorfall kleinlaut bestätigte und anschließend wieder nach Hause gebracht wurde.
Am 29. August wurde es dann doch ernst. Ulvi wurde abgeholt und zu einer Beschuldigtenvernehmung gebracht. Nach dem Gespräch wurde Staatsanwalt Zech telefonisch über den Sachverhalt unterrichtet. Er entschied, Ulvi auf freiem Fuß zu lassen, sofern dieser sich stationär in Therapie begebe. Ulvis Mutter sicherte zu, sich mit Hilfe ihrer Hausärztin umgehend um einen Therapieplatz zu kümmern. Kommissar Behrendt notierte einen Tag später: »Die Mutter will dafür sorgen, dass ihr Sohn sich einer stationären Behandlung unterzieht. Sollte dies in den nächsten Tagen nicht geschehen, müssten weitere Schritte gegen U. Kulac angedacht werden.«
Tatsächlich teilte Elsa Kulac Polizei und Staatsanwaltschaft kurz darauf mit, sie habe einen Platz gefunden. Am 10. September sollte Ulvi in der psychiatrischen Klinik des Bezirkskrankenhauses Bayreuth eine Therapie beginnen.
Doch am Ende kam alles anders. Vier Tage vorher, am 6. September, tauchten zwei Ermittlungsbeamte bei Ulvi auf und konfrontierten ihn erstmals mit dem Verdacht, er habe möglicherweise auch Peggy sexuell missbraucht. Davon war bislang nie die Rede gewesen – weder bei Ulvis erster Vernehmung am 23. Mai noch irgendwann später im Zusammenhang mit den Aussagen von Frau Langnickel. Ulvi musste sich den Vernehmern an diesem Tag gleich zwei Mal stellen. Das Verhör am Vormittag dauerte vier Stunden, das am Nachmittag sogar fünf. Ein Anwalt war nicht anwesend. Tonangebend war dabei Behrendt, der es mal mit Härte, mal mit Milde versuchte. Ulvi stieg geistig aus, saß einfach nur da, starrte ins Leere und schwieg. Nach endlosen Stunden, als alle Beteiligten längst erschöpft waren, wurde Ulvi allmählich weich. Er räumte ein, sich vor Kindern entblößt, sie angesprochen und sexuell belästigt zu haben. Auch von Peggy sprach er. Er sagte, sie sei mehrfach bei ihm gewesen, habe an seiner Playstation spielen wollen.
Danach wurden seine Äußerungen ungenau: Mal heißt es, er habe eine Vergewaltigung zugegeben, dann wieder, er habe nur den missglückten Versuch eingeräumt. Noch ein Jahr später, am 5. August 2002, sollte der spätere Chefermittler Wolfgang Geier beide Versionen in ein und denselben Bericht schreiben. Auf Seite zwei formulierte er: »Der Beschuldigte gab in seiner Vernehmung vom 6.9.2001 zu, die Peggy am 3.5.2001 in seiner Wohnung vergewaltigt zu haben .« Und auf Seite elf heißt es: »Am Donnerstag, 3.5.2001, beging Ulvi Kulac einen schweren sexuellen Missbrauch an Peggy in seiner Wohnung. Er sperrte vorsorglich die Wohnung ab und versuchte, sie zu vergewaltigen. «
Ein Problem, mit dem auch schon die Vernehmungsbeamten ihre liebe Not hatten: »Alles kann nicht stimmen. Wenn man dreimal etwas anderes erzählt, kann nur eines stimmen. Da hat es einmal eine Sendung gegeben, mit Robert Lembke. Können Sie sich an die Sendung erinnern? Der hat immer gesagt: ›Welches Schweinderl hätten’S denn gern?‹ Was wir jetzt machen, ist auch nichts anderes. Sie bieten uns immer wieder etwas Neues an, [nach dem Motto] sucht euch was aus«, heißt es in einem späteren Vernehmungsprotokoll.
Nur in einem Punkt blieb Ulvi konsequent, egal, wie hartnäckig die Beamten nachfragten, egal, wie lange die Verhöre dauerten, egal, wann sie angesetzt wurden. Auf die Frage: »Ulvi, wissen Sie, wo Peggy ist?«, schüttelte der nur den Kopf und sagte: »Mit Peggys Verschwinden habe ich nichts zu tun.« Peggy habe er nicht getötet, das beteuerte er ein ums andere Mal. Allein, Behrendt glaubte ihm nicht.
Nach dem Verhör
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