Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
zum Rauchen, und ich sicherte ihm zu, [ihm] auch etwas zu geben. Ich gab dann Kulac einen kleinen Zettel, und er entfernte sich kurz. Als er wiederkam, übergab er mir den Zettel. Darauf stand geschrieben: Richtung Lopenstein, links ist ein Bach und eine Brücke. Diese Worte schrieb Kulac selbst auf diesen Zettel. Er gab mir zu verstehen, dass die Leiche von Peggy dort liegt.«
Mit »Lopenstein« war offensichtlich Lobenstein in Thüringen gemeint, nur wenige Kilometer von Lichtenberg entfernt.
Den beiden Polizisten erzählte Hermann nun, wie Ulvi ihm den Mord an Peggy geschildert habe. »Er sagte mir, dass die Peggy am Tag des Verschwindens gleich nach der Schule zu ihm in die Wohnung kam. In der Folgezeit hatte er mit Peggy Geschlechtsverkehr. Dabei schrie sie jedoch so laut, und Kulac sagte wörtlich: ›Ich musste sie deswegen erwürgen.‹«
Die Sache mit Lobenstein bestätigte auch der Pfleger Wolfgang Pötzsch. Er hatte mit Ulvi gesprochen, weil er eine Sozialanamnese erstellen sollte. Dabei erzählte Ulvi, er habe Peggy sechs oder sieben Mal getroffen. Einmal sei ein gewisser Scholz dabei gewesen. Die Beamten wollten bei der Befragung des Pflegers den Vornamen des ominösen Herrn Scholz wissen. »Herr Kulac hat, glaube ich, Mirko gesagt.« Damit war die Verwirrung komplett – zwei Scholzens, beide wurden in unterschiedlicher Weise beschuldigt, etwas mit Peggy zu tun zu haben.
Frage: Wann war dieser Mirko Scholz dabei?
Antwort: So, wie ich Herrn Kulac verstanden habe, soll es zu dem Zeitpunkt gewesen sein, als er versuchte, mit der Peggy Geschlechtsverkehr durchzuführen.
Was der Scholz dabei getan haben soll, das habe Ulvi nicht erzählt. Aber er habe gesagt: »Der Mirko weiß, wo sie liegt. Kulac sagte mir auch, was Scholz gesagt hat, nämlich dass sie unter einer Brücke bei Lopenstein [sic] oder Lichtenstein liegen soll.«
*
Die beiden Kommissare verließen die Klinik und fuhren schnurstracks Richtung Lobenstein, um als Erstes die offenkundigste Aussage Hermanns zu überprüfen: Gibt es an der Straße zwischen Lichtenberg und Lobenstein einen Bach, der unter einer Brücke hindurchfließt? Und kann man hier tatsächlich eine Kinderleiche verstecken?
Um 17.15 Uhr trafen die Polizisten an der beschriebenen Stelle ein. »Es handelt sich hierbei um teilweise unwegsames Wald- und Wiesengelände mit Bachlauf«, notierten sie für die Ermittlungsakte. Das Ufer des Baches ist unter der Brücke mit einer Mauer befestigt, um zum Wasser zu gelangen, muss man eine steile Böschung hinabsteigen. Für zwei erwachsene Männer sollte es dennoch kein Problem sein, die Leiche eines neunjährigen Mädchens nach unten zu tragen. Besonders gut geeignet ist der Ort allerdings nicht, um die Tote dort verschwinden zu lassen – der Bach ist höchstens einen Meter tief.
Peggys Leiche fanden die Kommissare dort nicht. Und es gab noch ein Problem bei Hermanns Aussage, das den Beamten allerdings erst später auffiel: Ulvi galt gemeinhin als Analphabet. Er konnte ein paar krakelige Buchstaben malen, aber daraus Wörter, geschweige denn ganze Sätze zusammenzufügen bereitet ihm bis heute große Schwierigkeiten. Wie sollte er da die Ortsbeschreibung auf den Zettel geschrieben haben?
Zwei Tage später fuhren die Polizisten deswegen ein weiteres Mal nach Bayreuth, um Hermann zu befragen. Im Vernehmungsprotokoll liest sich das so: »Haben Sie gesehen, wie er das geschrieben hat?«
»Ja, ich habe gesehen, wie er dies selber geschrieben hat.«
Eine glatte Lüge. Hermann konnte das gar nicht gesehen haben, da Ulvi, wie Hermann selbst gesagt hatte, die Küche einen Moment lang verlassen hatte und erst danach mit der Wegbeschreibung zurückgekommen war. Die Lüge des einstigen V-Manns flog endgültig auf, als die Beamten den Krankenpfleger Rainer Wenzel zu dieser Sache befragten. Als man ihm eine Kopie des besagten Zettels vorlegte, erklärte der Pfleger, Ulvi sei zu ihm gekommen und habe ihn gebeten, etwas für ihn zu notieren: »Den Zettel habe ich geschrieben.«
Die nächste Information, die Hermann bei der erneuten Befragung lieferte, klang ebenfalls wenig glaubwürdig: »Gestern war ich doch noch einmal mit dem Kulac zusammen. Hier erzählte er mir wieder, dass die Peggy in einem Bach […] ist, dass man sie dort hineingeworfen hätte. Damit sie nicht mehr auftaucht, hätte man um die Füße bzw. die Beine ein Seil gebunden und alles mit einem Stein beschwert.«
Eine Leiche mit einem Stein beschweren und in einen Bach
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