Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
Lichtenberger Ortskern aber mehrere Brunnen. Nur mit viel Mühe konnten die Beamten herausfinden, welcher davon gemeint gewesen sein könnte – nachdem sie den Brunnenwart ausfindig gemacht hatten, der ihnen erklärte, wann aus welchem Brunnen im Mai schon Wasser sprudelte und welcher folglich zu einzelnen Erinnerungsstücken von Felix gepasst haben könnte.
Wir haben daher versucht, Felix direkt zu befragen. Inzwischen ist er volljährig, macht eine Berufsausbildung und hat eine Freundin. Den Kontakt haben wir nur über seine Mutter herstellen können, in deren Wohnung wir uns dann trafen. Wir erlebten einen großgewachsenen jungen Mann, der gleich zu Beginn klarstellte, dass er damals den Mord an Peggy gesehen habe und über jeden Zweifel, der an seinen Aussagen geäußert werde, empört sei. Felix schilderte dann, was sich am 7. Mai 2001 nach seiner Erinnerung zugetragen habe. Gleich nach der Schule habe er mit Peggy mit Matchboxautos gespielt. Das sei nicht ungewöhnlich gewesen, Peggy sei ein Mädchen gewesen, das anders als ihre Geschlechtsgenossinnen lieber mit Autos als mit Puppen spielte. Danach sei er kurz nach Hause gegangen, habe weitere Autos geholt und sei zu Peggy zurückgekehrt. Nach einer Weile hätten sich die beiden getrennt. Felix erzählte, er sei dann allein im Ort unterwegs gewesen und habe Peggy später unterhalb der Burgmauer in der Gartensiedlung Hermannsruh wiedergetroffen. Dort hatten die beiden Kinder ein Versteck. Peggy sei ängstlich und aufgelöst gewesen und habe ihm gesagt, zwei Männer seien hinter ihr her. Was diese Männer von ihr gewollt hätten und um wen es sich handelte, habe sie nicht gesagt. Dann hätten sich ihre Wege ein weiteres Mal getrennt.
Zufällig habe er später aus einiger Entfernung gesehen, wie Peggy den Feldweg durch die Hermannsruh Richtung Schlossberg rannte. Ulvi habe sie verfolgt. Gefragt, ob er sich da nicht irre, immerhin sei Ulvi bekanntermaßen unsportlich, sagte Felix: »Sie glauben gar nicht, wie der rennen konnte.« Wie ein Blitz sei er hinter Peggy her gewesen. Felix habe einen Parallelweg eingeschlagen, um unbemerkt folgen zu können, sei diesen bis zum Schlossberg entlanggeeilt und weiter nach oben auf den Schlossplatz. In der Mitte des Platzes stand ein hoher Wassercontainer. Auf den sei er hinaufgeklettert, habe sich auf den Bauch gelegt und sei so nah an den Rand gerobbt, dass er sehen konnte, was unten geschah. Der Mann, den er für Ulvi hielt, habe auf der am Boden liegenden Peggy gekniet. Die habe sich irgendwann nicht mehr gerührt. Plötzlich sei ein zweiter Mann aufgetaucht, der ausgesehen habe wie Ulvis Vater. Er habe eine Plane dabeigehabt, in die die beiden die leblose Peggy einrollten. Das »Paket« hätten sie anschließend mit Klebeband verschnürt. Ulvis mutmaßlicher Vater habe das so eingepackte Mädchen dann hochgehoben und sei den Schlossberg herabgestiegen. Felix habe sehen können, das Peggys Beine »herunterbaumelten«. Ulvi habe Peggys Schulranzen aufgelesen und sei dann seinem Vater gefolgt. Direkt unterhalb des Schlossbergs hätten die Männer das Mädchen vergraben.
So ähnlich findet sich das auch in den Ermittlungsakten. Aber aufgrund der teils widersprüchlichen Details glaubten ihm die Beamten nicht. Allein Kripo-Kommissar Pilz ist bis heute davon überzeugt, dass Felix tatsächlich etwas gesehen hat. Er hält dessen Aussage sogar für so plausibel, dass er sie mehr als zehn Jahre nach Peggys Verschwinden noch einmal überprüfen wollte. Im Herbst 2012 trafen sich Felix Ludwig und der Ermittler zu einem privat anberaumten Ortstermin. Felix zeigte dem Kommissar die Orte, an denen er Peggy angeblich gesehen hat, und vor allem den Platz, an dem der vermeintliche Ulvi und sein vermeintlicher Vater ihre Leiche vergraben haben sollen. Dort endete die Suche indes fürs Erste. Ausgerechnet an dieser Stelle steht heute das Fundament der mittlerweile restaurierten Schlossmauer. Sie müsste teilweise eingerissen werden, falls tatsächlich noch einmal nach der Leiche gegraben werden sollte. Pilz befürwortet das.
*
Als wir mit ihm sprachen, hatte Felix Mühe, über längere Zeit bei der Sache zu bleiben. Immer wieder unterbrach er seine Erzählung, spielte mit dem Handy, streichelte den Hund oder lenkte sich anders ab. Er benötigte immer wieder Pausen, bevor er weitersprechen konnte. Offenbar litt er schon als Kind unter Konzentrationsstörungen. Im Mai 2001 ging Felix in die erste Klasse der Lichtenberger Grundschule.
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