Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
werfen, der, wenn es hochkommt, nur einen Meter tief ist? Das wäre wohl selbst einem Einfaltspinsel wie Ulvi Kulac kaum eingefallen – und wohl erst recht nicht seinem Freund Tim, dem immerhin nachgesagt wurde, dass er dank einiger Cleverness über lange Zeit seinen Drogengeschäften nachgehen konnte, ohne dabei erwischt zu werden.
*
Im November 2001 berichtete Hermann schließlich von einer gänzlich neuen Version. Jetzt soll Ulvi ihm erzählt haben, dass Peggy noch lebe. Sie werde im Ullsteinpark nördlich von Lichtenberg festgehalten und befinde sich in der Gewalt von Entführern. Das besagte Geländestück auf dem früheren Mauerstreifen zwischen der DDR und der Bundesrepublik war erst kurz zuvor vollständig geräumt und als Erholungsgebiet freigegeben worden.
Die Berichte, die Hermann unter Berufung auf Ulvi lieferte, wurden immer abenteuerlicher. Gleichzeitig schien er die Lust an seiner V-Mann-Rolle langsam zu verlieren. Er hatte sich schließlich die Entlassung aus der Psychiatrie versprochen. Aber die Polizei ließ ihn schmoren.
Am 10. Dezember knöpften sich zwei leitende Beamte der Sonderkommission den Informanten ein weiteres Mal vor. Hermann gab sich übellaunig und wortkarg. Erst auf mehrmaliges Nachfragen redete er – und kehrte plötzlich zu seiner ursprünglichen Version zurück, dass Ulvi Peggy erwürgt habe. Die Beseitigung der Leiche schilderte er indes anders als früher. Jetzt war es nicht mehr Tim, der sie weggeschafft hatte, sondern Ulvis Vater.
Wörtlich protokollierten die Vernehmer: »Sein Vater wäre dazugekommen und man hätte sie dann am Abend weggeschafft.«
Frage: Wann soll das stattgefunden haben?
Antwort: Weiß ich nicht.
Frage: Wohin soll man die Peggy gebracht haben?
Antwort: Das weiß ich nicht.
Am Ende erkundigten sich die Polizisten, welchen Eindruck Hermann von Ulvi Kulac habe. Der V-Mann antwortete, seiner Ansicht nach »blickt er schon durch«. Ulvi wisse genau, was passiert sei, versuche aber, die Tat zu verdrängen. Er, Fritz Hermann, sei die einzige Vertrauensperson, der er sich geöffnet habe. »Er erzählt das nur mir«, versicherte er den Ermittlern.
Wenig später besuchten die beiden Kripo-Beamten Förster und Pilz Ulvi Kulac. Sie konfrontierten ihn mit den Aussagen Hermanns. Ulvis Anwalt Wolfgang Schwemmer saß mit am Tisch. Ulvi willigte ein, zur Sache auszusagen. Das Verhör war allerdings nur kurz.
Die Beamten fragten: »Wir haben gehört, dass du gesagt haben sollst, dass dein Vater die Peggy verschafft haben soll, nachdem sie tot war, und du sollst der Täter sein. Was sagst du dazu?«
Ulvi antwortete: »So etwas habe ich nie gesagt.«
Damit war die Sache beendet – und, wie es schien, auch das Vorhaben, Ulvi mit Hermanns Unterstützung zu einem Geständnis zu bewegen. Intern hatten Pilz und Förster ohnehin nicht viel Rückendeckung gehabt. Vor allem Soko-Chef Manhart bezweifelte, dass Ulvi der Täter sein könnte. Eine Auffassung, zu der er noch heute steht.
Die Protokolle wurden in die Ermittlungsakte geheftet, die Spur auf Ulvi schien erledigt. Vorerst.
Kapitel 9
Ein Augenzeuge will den Mord gesehen haben
D och einige Mitglieder der Soko wollten sich damit nicht zufriedengeben. Da die Sache mit dem Geständnis gescheitert war, versuchten sie es mit einem anderen Ansatz. Angeblich gab es nämlich einen Augenzeugen. Die Kripo war dem schon einmal nachgegangen, aber – wie bei allen bisherigen Ansätzen – ohne Resultat. Nun wurden die Unterlagen erneut hervorgeholt.
Bei dem mutmaßlichen Augenzeugen handelte es sich um den siebenjährigen Felix Ludwig. Er hatte unmittelbar nach Peggys Verschwinden ausgesagt, er habe den Mord an ihr mit eigenen Augen gesehen. Eine Aussage, die er mehrfach – wenn auch in unterschiedlichen Versionen – wiederholte und an der er bis heute festhält. Dennoch sollte er damit im Prozess gegen Ulvi Kulac nicht angehört werden. Und mehr noch: Der Staatsanwalt erwähnte ihn noch nicht einmal in der Anklageschrift. Der Grund dafür: So bestechend der Gedanke war, ein Augenzeuge könnte den Mord an Peggy gesehen haben, so rätselhaft ist das Aussageverhalten von Felix. Bis heute scheiden sich die Geister, ob er als Zeuge glaubwürdig ist oder nicht.
Zusammengefasst sagte Felix aus, er habe Peggy am Nachmittag bis in den Abend des 7. Mai 2001 mehrmals getroffen und gesehen. Aber die Details konnten die Beamten nie genau ermitteln. Ein Beispiel: Felix gab an, er habe mit Peggy an einem Brunnen gespielt. Es gibt im
Weitere Kostenlose Bücher