Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
die Hände um den Hals gelegt und zugedrückt.«
Pilz informiert seine Soko-Kollegen, die umgehend dafür sorgen, dass die Gegend um das Wartehäuschen durchkämmt wird. Auch einen Leichenspürhund setzen die Beamten ein, gefunden wurde, wie üblich: nichts.
*
Dieser neuerliche Fehlschlag sorgt für einigen Ärger bei der Soko. Der vermeintliche Augenzeuge Felix, in den die Ermittler so viele Hoffnungen setzen, hatte bisher keine verwertbare Aussage geliefert – auch nach eineinhalb Jahren nicht. Kommissar Pilz wird aufgefordert, sich vorläufig von Familie Ludwig fernzuhalten und anderen Beamten den Kontakt zu überlassen. Soko-Chef Geier fürchtet offenbar, sein Ermittler agiere nicht mehr mit genügend professioneller Distanz.
Drei Tage später schickt er einen neuen Beamten zu Katja Ludwig, um weitere Details zu der neuesten Schilderung des Jungen zu erfragen. Der trifft in der Wohnung in Carlsgrün zu seiner Überraschung nicht nur auf Mutter und Sohn Ludwig, sondern auch auf Susanne Knobloch. Die beiden Frauen, so notiert der Polizist, hätten ihn mit Vorwürfen überzogen. Irritierenderweise hätten sie dabei vor allem kritisiert, dass die Polizei die Gegend um das Sachsenhäuschen mit so großem Aufwand untersucht habe. Das sei keineswegs angemessen oder gar lobenswert, sondern ja wohl einzig und allein als Misstrauensbekundung gegen Felix zu verstehen.
Außerdem notiert der Beamte in seinem Gedächtnisprotokoll: »Gemeinsam machten sie [Katja Ludwig und Susanne Knobloch] Stimmung gegen die Familie Kulac und gegen alle Lichtenberger.« Susanne Knobloch habe außerdem betont, sie sei »ganz fest von der Aussage des Felix überzeugt«. Ulvi habe ihre Tochter im Sachsenhäuschen erwürgt, daran könne es keinen Zweifel geben.
*
Obwohl es dafür keinerlei Beweise gab, obwohl der Junge sich wiederholt in Widersprüche verstrickt hatte, setzt Geier im Folgenden alle Hebel in Bewegung, um Felix’ Aussagen für einen späteren Prozess verwertbar zu machen. Das heißt: Entweder musste der Junge seine Beobachtung während der späteren Gerichtsverhandlung oder aber bereits im Vorfeld vor einem Ermittlungsrichter wiederholen. Geier will sichergehen und entscheidet sich für die zweite Variante. Er setzt einen Vernehmungstermin vor dem Ermittlungsrichter fest. Der aber platzt – weil Katja Ludwig ihn absagt. »Felix ist derzeit in einer solchen psychischen Verfassung, dass er keinerlei Angaben machen wird«, lässt sie ihre Anwältin mitteilen. »Des Weiteren möchten wir anmerken, dass wir erstaunt sind darüber, dass der Polizeibeamte [Pilz], der Felix als Vertrauensperson zugeordnet wurde, nicht mehr mit Felix sprechen darf und dass ohne Wissen der Mutter […] eine Glaubwürdigkeitsprüfung der Aussage von Felix vorgenommen wurde.«
Eine solche Überprüfung hat es tatsächlich gegeben. Angefertigt hat sie eine Psychologin aus Nürnberg im Auftrag des Ermittlungsrichters. Anhand der stark voneinander abweichenden Aussageprotokolle bescheinigt sie Felix eine »mangelnde Aussageverlässlichkeit«. So habe er in seinen ersten Aussagen niemals von Peggy gesprochen, sondern nur angedeutet, er selbst sei von Ulvi missbraucht worden, und zwar schon lange vor Peggys Verschwinden. Katja Ludwig habe aber immer wieder gesagt, ihr Sohn verhalte sich erst seit Peggys Verschwinden eigenartig. »Warum nicht schon vorher?«, fragt die Psychologin. Und weiter heißt es in ihrem Gutachten: »Was kann Felix eigentlich zum Tatablauf des 7. Mai 2001 noch aussagen, was verwertbar ist? Kann er sich plötzlich erinnern, wer Peggy mitgenommen hat? Kann er sich erinnern, wer Peggy umgebracht hat, möglicherweise? Kann er das Tatgeschehen schildern?«
Rhetorische Fragen, die die Psychologin kurz und bündig so beantwortet: »Mit Sicherheit nicht.«
Wieder einmal sind die Ermittlungen aus dem Ruder gelaufen. Wieder einmal steht die Kripo vor dem Nichts, daran kann auch der profilierte Kriminaldirektor Wolfgang Geier nichts ändern. Die Soko steckt einmal mehr in einer Krise. Die Soko 2 leidet plötzlich unter denselben Symptomen wie zuvor schon die erste Sonderkommission. Zwischen den Ermittlern brechen Konflikte auf. Hauptkommissar Behrendt, der Vizechef, macht vor allem Ermittler Pilz für die Misere verantwortlich und kanzelt ihn in einem Bericht mit den Worten ab: »Die polizeilichen Ermittlungen richten sich nach Fakten und nicht nach Wünschen.«
*
Die Hoffnung, den Fall Peggy mit Hilfe eines Augenzeugen lösen zu können,
Weitere Kostenlose Bücher