Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
zerschlägt sich endgültig am 27. Februar 2003. An diesem Tag teilt der ermittelnde Staatsanwalt mit, dass er seine Pläne in Sachen Felix revidiere. »Ich nehme den Antrag auf richterliche Vernehmung des Zeugen zurück«, schreibt Gerhard Heindl. »Die Anklage muss nunmehr aus Beschleunigungsgründen unverzüglich erfolgen«, fügt er hinzu. »Eine Verzögerung durch oben genannte Zeugenvernehmung kann nicht hingenommen werden.«
Peggy ist zu diesem Zeitpunkt schon fast zwei Jahre verschwunden – nach wie vor spurlos. Die Ermittler haben die beiden vermeintlich aussichtsreichsten Ansätze neu aufgerollt und sind ebenfalls gescheitert, nur mit mehr Aplomb. Sie beschäftigen sich sogar noch einmal mit dem Zeugen Dirk Wimmer, jenem Mann, der eine Leiche im Wald gesehen zu haben glaubte. Anders als beim letzten Versuch legt die Staatsanwaltschaft diesmal keinen Einspruch dagegen ein, Wimmer hypnotisieren zu lassen. Die Hypnose-Sitzung verläuft erfolgreich – in gewisser Weise jedenfalls. Ausgewertet hat sie ein Psychologe der hessischen Polizei. Er schreibt über Wimmer und dessen Leichenfund: »Aus seiner [Wimmers] Gesamtreaktion heraus ist die Schlussfolgerung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zulässig, dass es sich um die authentische Wahrnehmung einer Leiche gehandelt hat.« Ferner merkt der Psychologe an, der Zeuge sei bereitwillig und sehr auskunftsmotiviert gewesen. Die Persönlichkeit des Mannes habe sich ihm als äußerst gefestigt, urteilsfähig und glaubwürdig dargestellt. Eine Neigung zu übersteigender Phantasietätigkeit oder selbstdarstellungsbedingten Realitätsabweichungen seien in keiner Weise feststellbar gewesen.
Möglicherweise hat Dirk Wimmer tatsächlich eine Leiche im Wald gesehen. Einen Beleg dafür, dass es sich dabei um die vermisste Peggy gehandelt hat, gibt es nicht. Die ganze Geschichte zeigt indes, wie frustriert die Soko darüber war, dass sie letztlich immer noch mit leeren Händen dastand. Behrendt, Manhart, Geier – egal, wer sich mit diesem Fall beschäftigte, das Ergebnis war immer das gleiche. Keine verwertbare Spur, keine Leiche, nichts.
Kapitel 15
Der V-Mann legt nach
W olfgang Geier, wohl wissend um den zunehmenden Druck durch Öffentlichkeit und Politik, erweist sich in dieser Situation als kühl und pragmatisch. Er verzichtet darauf, neue Spuren zu sammeln, sondern durchleuchtet erneut die vorhandenen. Die Soko Peggy 1 hatte mit hoher Wahrscheinlichkeit alle Hinweise, die es im Fall Peggy überhaupt geben konnte, schon erhalten. Und wahrscheinlich waren auch die richtigen darunter gewesen. Die Ermittler hatten sie bisher wohl nur nicht bemerkt.
Also entscheidet Geier, keine neuen Ermittlungsansätze mehr zu entwerfen, sondern die alten Szenarien neu durchzuspielen. Irgendetwas musste die Soko 1 übersehen haben. Die Spur auf Yilmaz hatte in die Irre geführt, der Augenzeuge Felix Ludwig bekam keine klare Aussage zustande. Was blieb, war der Spurenkomplex Ulvi Kulac, vor allem das angebliche Geständnis, das dieser in der Psychiatrie gegenüber seinem Mitinsassen abgelegt haben soll. Vielleicht war er es ja doch gewesen, und die früheren Ermittler hatten es nur nicht geschafft, ihn auch in einem offiziellen Verhör zum Reden zu bringen. Die Soko Peggy 2 hatte die Vernehmungsprotokolle von Fritz Hermann gründlich studiert. Genau genommen stand da schon alles drin, was den Fall lösen konnte. Das Geständnis – es existierte im Grunde längst, auch wenn es bis jetzt noch nicht verwertbar war.
Genau da setzt Geier nun den Hebel an. Im Februar 2002 schickt er zwei seiner Beamten nach Bayreuth, um Ulvi Kulac ein weiteres Mal vernehmen zu lassen.
Als die beiden Polizisten das Verhörzimmer betreten, wartet Ulvi bereits mit seinem Anwalt. Die Beamten kommen gleich zur Sache: »Ulvi, wir haben gehört von einem Insassen des Bezirkskrankenhauses, dass du Peggy vergewaltigt haben sollst. Sie soll geschrien haben. Damit sie ruhig ist, hättest du sie am Hals gepackt und gewürgt.«
Ulvi antwortet darauf erst mal nicht, sondern wird von seinem Anwalt in ein Nebenzimmer gebracht. Dort beraten sich die beiden. Als sie zurückkommen, sagt Ulvi: »Ich habe das zum Fritz Hermann nicht gesagt.«
Darauf die Ermittler: »Wie kommst du darauf, dass der Fritz Hermann uns das gesagt hat?«
An dieser Stelle ergreift Ulvis Anwalt das Wort. Er habe Ulvi im Nebenzimmer gefragt, welchen Insassen die Polizisten wohl gemeint haben könnten und mit wem er über Peggy gesprochen habe. Ulvi
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