Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
»Dann hat sie die Augen zugemacht. Wie ich gesehen habe, dass sie sich nicht mehr rührt, habe ich aufgehört«, heißt es im Protokoll. Dann habe er erst mal eine Zigarette geraucht und den leblosen Körper anschließend an die Schlossmauer geschleift und mit Zweigen abgedeckt. Als Nächstes habe er seinen Freund Tim angerufen. Der sei dann zusammen mit seiner Freundin Ulrike etwa zwanzig Minuten später mit dem Auto eingetroffen. Tim und er hätten Peggys Leiche in den Kofferraum gehoben und nach Schwarzenstein gefahren. Dort hätten sie die Tote unter einem Baum abgelegt, daneben ihren Schulranzen und alles mit einer blau-weißen Plane abgedeckt.
Das waren nun wirklich konkrete und nachprüfbare Aussagen! Dieses überraschende Nachverhör dauerte von 11 bis 11.40 Uhr. Erst fünf Minuten nachdem es beendet war, will Soko-Chef Geier erfahren haben, was seine Leute da gerade zustande gebracht hatten. Bis dahin habe er angeblich nicht gewusst, dass Ulvi nach dem offiziellen Verhör noch einmal ohne Anwalt im Vernehmungszimmer gewesen war. Ulvi erinnert sich anders und behauptet, Geier habe die gesamte Zeit im Türrahmen gestanden, mal eine Zeitlang nur zugehört, sich dann wieder aktiv eingemischt.
Wie auch immer – erst hinterher rief Geier Ulvis Anwalt auf dem Handy an und teilte ihm mit, sein Mandant habe gerade einen Mord gestanden. Schwemmer kehrte sofort in die Polizeidirektion zurück und verlangte, umgehend allein mit Ulvi zu sprechen.
In einem Nebenzimmer bestätigt Ulvi in Kurzform, dass er tatsächlich gerade ein Geständnis abgelegt hat. Der Anwalt lässt sich von Ulvi so viele Details wie möglich schildern und fertigt anhand dieser Angaben eine Karte an, auf der Schwarzenstein und das angebliche Versteck von Peggys Leiche eingezeichnet sind. Anschließend läuft er damit zu Soko-Chef Geier und zeigt ihm die Karte. Ein indirektes Eingeständnis, dass er diese Geschichte glaubt? Geier ordnet an, dass das gesamte Soko-Team sofort nach Schwarzenstein aufbrechen soll. Die Beamten besteigen ihre Autos und nehmen Ulvi gleich mit. Anwalt Schwemmer lässt es geschehen und entschuldigt sich: Wegen dringender Termine könne er leider nicht mitfahren.
Ulvi ist das zweite Mal an diesem für ihn so schicksalhaften Tag auf sich allein gestellt.
*
In Schwarzenstein wollen sich die Polizisten von Ulvi zeigen lassen, wo die Leiche zu finden sei. Ulvi müht sich, die Beamten an den richtigen Platz zu lotsen, findet ihn aber nicht. Eine Weile suchen die Polizisten das Gelände ab, ohne Erfolg, nirgends eine Leiche, keine Plane, kein Rucksack. Die Ermittler brechen die Ortsbegehung ab und fahren mit Ulvi weiter nach Lichtenberg. Dort wollen sie sich sozusagen am Tatort vorführen lassen, wie Ulvi Peggy getötet haben will.
Geier ordnet an, die Begehung mit Hilfe einer Videokamera festzuhalten. In Lichtenberg ist nun auch der federführende Staatsanwalt Gerhard Heindl vor Ort. Dass Ulvi mit dieser Aktion überrumpelt wurde, muss den Ermittlern klar gewesen sein. Das geht nicht zuletzt aus einem Schreiben hervor, das Geier später an den Staatsanwalt in Hof – namentlich Heindl – sendet und das sich streckenweise so liest, als sei es nur deshalb formuliert worden, um ein womöglich nicht ganz koscheres Vorgehen im Nachhinein rechtlich abzusichern. So schreibt Geier dem Staatsanwalt nur das, was dieser aus eigener Anschauung längst weiß: »Bei dieser ersten Tatortbegehung, an der neben den Soko-Angehörigen auch der sachbearbeitende StAaGrL Heindl teilnahm, ordnete ich die Videographierung zu Beweiszwecken an.« Aus dem Schreiben geht darüber hinaus hervor, dass weder Ulvi noch sein Anwalt gefragt wurden, ob sie damit einverstanden waren. Das Einverständnis des Beschuldigten setzte Geier stillschweigend voraus. Es sei »anhand seines [Ulvis] Verhaltens auf dem Video zu erkennen«, dass er nichts dagegen gehabt habe. Das Einverständnis des Anwalts erklärte Geier kurzerhand für überflüssig, denn es läge »kein gegenteilig erklärter Wille des Herrn Rechtsanwaltes vor« – wie auch? Schwemmer wusste nichts von der Videorekonstruktion mit Ulvi als Hauptdarsteller in eigener Sache, er hatte sich ja aus Termingründen verabschiedet. Staatsanwalt Heindl wiederum habe sein Einverständnis ebenfalls signalisiert, da auch er nichts Gegenteiliges erklärt hätte.
Die Ermittler jedenfalls scheinen an jenem Tag überzeugt davon gewesen zu sein, dass sie den Durchbruch geschafft und den Fall Peggy endlich gelöst
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