Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
neun. Thorsten habe bedeutend älter ausgesehen als 17 Jahre, eher »wie dreißig oder vierzig«. Er sei schon damals massig und kräftig gewesen, schütteres Haar und Geheimratsecken habe er bereits als Jugendlicher gehabt. In seiner äußeren Erscheinung sieht er Ulvi Kulac verblüffend ähnlich. »Ich mochte ihn gern, weil er sich sehr einfühlsam gab und man gut mit ihm reden konnte«, sagt Jana noch heute über ihn.
Nicht ganz so einfühlsam war Thorsten beim Sex – im Gegenteil. »Beim Sex hatte ich das Gefühl, der denkt nur an sich.« Da sei er ein völlig anderer Mensch gewesen als sonst, rabiat, fordernd. Manchmal habe er sie drei Stunden hintereinander wie in Trance benutzt. »Ich war oft blutig«, erinnert sie sich. »Aber wenn ich gesagt habe, dass was weh tut, hat er einfach weitergepoppt.« Er habe darauf gestanden, dass es »eng« war. Und noch etwas fand sie unangenehm: Thorsten duschte eher selten und roch häufig streng. Nach Ostern 2001 machte sie Schluss – »ich hatte einen anderen«.
Zwei Wochen später verschwand Peggy Knobloch.
*
Zu diesem Zeitpunkt wusste kein Außenstehender, dass Thorsten Peggy gut kannte und häufig in Lichtenberg besucht hatte. Das änderte sich, als die Sonderkommission Peggy wenige Tage nach ihrem Verschwinden die persönlichen Sachen des Mädchens durchstöberte. Ganz hinten in einem Schulheft steckte der kleine Zettel, auf dem Thorstens Name und seine Adresse notiert waren – von Hand, mit einem Kugelschreiber. Die Soko-Ermittler stellten schnell fest, dass es sich nicht um Peggys Handschrift handelte.
Am 14. Mai faxte die Kripo Hof folgende Bitte an die Kollegen des Saalekreises in Sachsen-Anhalt: »In einem Schulheft der Peggy wurde ein handschriftlicher Eintrag gefunden: Es wird gebeten, E. dahingehend zu überprüfen, ob er mit dem Verschwinden des Mädchens etwas zu tun hat und ob er sonst Angaben, auch zur Fam. Knobloch, machen kann.«
Die Kollegen in Ostdeutschland reagierten schnell. Noch am selben Tag schickten sie eine erste Antwort. Kriminalobermeister Jürgen Koller aus Halle suchte den Hof auf, auf dem Thorsten mit seinen Zieheltern lebte. Koller klingelte an der Tür des grau verputzten Hauses, Thorstens Großvater Otto öffnete. Der Junge sei nicht da, sagte er dem Beamten. Der Ermittler bat um die Erlaubnis, sich auf dem Hof umsehen zu dürfen. Otto Engelhard willigte ein. Koller notierte später im Protokoll: »Das Grundstück wurde mit Genehmigung der Familie in Augenschein genommen. Anhaltspunkte für den Aufenthaltsort der Peggy wurden nicht bekannt.«
14 Tage später reisten zwei Ermittler der Soko Peggy aus Hof nach Sachsen, Hauptkommissar Robert Holzer und seine Kollegin, Hauptkommissarin Julie Zweig. Obermeister Koller lotste die beiden zum Hof. Um 16.30 Uhr klingelten die Beamten an der Tür. Thorstens Großmutter Dietlinde öffnete und regte sich zunächst heftig über das Erscheinen der Kripo-Leute auf. Erst nach ein paar Minuten habe sie sich »kooperativ« gezeigt.
Die beiden Hofer Ermittler besichtigten Wohnhaus, Schuppen und den Hundezwinger. Auf dem Gelände standen zwei offensichtlich defekte Trabant-Autos aus DDR-Zeiten, ein zwar abgemeldeter, aber fahrtüchtiger grauer Opel Kadett und ein zugelassener Ford Sierra. Anschließend besahen sich die Ermittler Thorstens Zimmer und empfanden es als »absolut verwahrlost. Es lagen dreckige Kleidungsstücke im Raum herum, und es roch auch sehr unangenehm.«
An Thorsten selbst, der diesmal zu Hause war, fiel den Polizisten ein Detail besonders auf: Der junge Mann trug einen Anhänger um den Hals, in den ein Foto von Peggy eingeschweißt war. Außerdem notierte Hauptkommissar Holzer fürs Protokoll: »Herr Engelhard zeigte sich beim Erscheinen der Polizei ziemlich nervös.«
Holzer deutete auf das Medaillon und fragte: »Seit wann tragen Sie dieses Foto?«
»Seit Peggys Verschwinden«, antwortete Engelhard.
Wie oft er schon in Lichtenberg gewesen sei, wollte der Polizist wissen.
»Vier oder fünf Mal.«
Und wann das letzte Mal?
Thorsten dachte kurz nach und antwortete dann mit fester Stimme: »Da bin ich mir ganz sicher, das war im letzten Jahr in den Sommerferien.«
Er sei zwei Wochen dort gewesen. Gewohnt habe er, wie immer, im Gästezimmer in der Wohnung der Kaisers. »In diesen zwei Wochen im vergangenen Sommer kam die Peggy dann fast täglich zu Kaisers in die Wohnung.« Sie habe dort auch ihre Hausaufgaben erledigt, denn ihre Mutter Susanne und ihr Stiefvater Ahmet
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