Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
7. Mai 2001 noch gesehen haben. Am Ende haben wir sogar amtliche Ermittler getroffen, die davon überzeugt sind, dass dieser Mann der Täter im Fall Peggy sein könnte. Die, die das glauben, gehören allerdings nicht zu den Ermittlungsbehörden in Bayern, sondern zu denen in Sachsen-Anhalt. Für den Fall Peggy waren sie nicht zuständig.
Der Mann, um den es geht, heißt Thorsten Engelhard. Er stammt aus einem kleinen Dorf zwischen Halle und Leipzig. Als er geboren wurde, war seine Mutter erst sechzehn Jahre alt. Die Großeltern adoptierten ihn und nahmen ihn bei sich auf. Seitdem nennt er seine Oma »Mama«, seinen Opa »Papa« und seinen Onkel »Bruder«. Thorsten war fünfzehn, als er zum ersten Mal beim Begucken von Kinderporno-Bildern am Computer erwischt wurde. Das erzählte uns sein Bruder-Onkel, Maik Kaiser – jener Maik Kaiser, der mit seiner Familie später im selben Haus in Lichtenberg wohnte wie Peggy Knobloch. »Ich habe ihm gesagt, er soll den Schweinkram lassen«, erinnert er sich.
Aber Thorsten hörte nicht darauf. »Ich habe ihn immer wieder damit erwischt«, sagte Maik. Mitte der neunziger Jahre wurde dann auch die Polizei auf Thorsten aufmerksam. Die Ermittler hegten den Verdacht, er könne mit einem minderjährigen Mädchen namens Janine Sex gehabt haben. Thorsten beteuerte damals, er habe nur ein einziges Mal Geschlechtsverkehr mit ihr gehabt; und er habe auch nicht gewusst, dass sie dafür noch zu jung gewesen sei. Das Mädchen habe älter und reifer gewirkt. Als er ihr wahres Alter herausbekommen hätte, habe er die Geschichte sofort beendet.
Erfahren haben wir all das aus Ermittlerkreisen. Akten gibt es darüber nicht mehr. Sie wurden aus Datenschutzgründen vernichtet. Aber einige Leute erinnern sich noch daran, wie wütend Janines Vater gewesen war, als er von der Affäre erfuhr. Er konnte Thorsten nicht leiden. Außerdem habe Thorsten die Polizisten angeflunkert, als er sagte, er habe die Geschichte sofort beendet. Die Affäre sei monatelang weitergegangen, zunächst nur heimlich, wie Freunde berichten. Als ihr Vater herausbekam, dass Janine sich immer noch mit Thorsten traf, brüllte er herum und hat sie wohl auch geschlagen. Tagelang wagte sie sich nicht nach Hause. Thorsten bot ihr an, sie mit zu sich zu nehmen, auf den kleinen, seit Jahren heruntergekommenen Hof seiner Großeltern. Das Mädchen habe in Thorsten so etwas wie einen Retter gesehen, sagen Freunde, auch deshalb, weil sie oft gehänselt wurde, wegen ihrer Klamotten, weil sie nicht besonders hübsch war, weil jeder wusste, dass ihr Vater sie mies behandelte und vielleicht sogar selbst missbrauchte. Thorsten war all das egal. Auf seine Weise blieb er Janine treu. Er hatte zwar immer wieder auch andere Beziehungen, aber einige Jahre später heiratete er sie sogar und bekam zwei Töchter mit ihr.
Das nächste Mädchen, mit dem Thorsten etwas hatte, war damals gerade elf Jahre alt. Nach ihr gab es zahlreiche weitere Liebschaften, vornehmlich zu deutlich jüngeren Mädchen, die fast alle aus eher schwierigen Familienverhältnissen kamen. Thorsten galt als jemand, der gut zuhören konnte. So etwas kannten viele seiner Freunde von zu Hause nicht. Viele von ihnen wuchsen im Plattenbauviertel Halle-Neustadt auf, schon zu DDR-Zeiten ein sozialer Brennpunkt. Alkohol, Drogen, Gewalt, frühe und wahllose Sexkontakte, Scheitern in der Schule, keine Ausbildung, Bildungsferne, Massenarbeitslosigkeit, Abgleiten in Kleinkriminalität – für die meisten Kinder und Jugendlichen in Thorstens Clique war das alltägliche Normalität.
Zu dieser Clique gehörte auch Jana Thiele, die wir in Halle-Neustadt besuchten. Sie war die einzige annähernd gleich alte Freundin, die Thorsten hatte. Zu Hause sei es ihr meistens schlecht ergangen, verriet sie uns freimütig. Der Vater habe die Kinder grün und blau geprügelt, und zwar »mit Händen, Fäusten, der Babywanne und einem Gürtel«. Nachdem die Lehrer wegen der blauen Flecken in ihrem Gesicht bei den Eltern nachgefragt hätten, habe es zwar weiter Schläge gegeben wie gewohnt, »aber nicht mehr so viel in die Fresse«. Ihre Mutter sei gegen den Vater keine Hilfe gewesen, sie habe stattdessen »Techtelmechtel gemacht«. Jana habe, wenn die Mutter um die Häuser zog, auf ihre jüngeren Geschwister aufgepasst. Thorsten und Jana waren im März und April 2001 zusammen, also kurz vor Peggys Verschwinden. Davor, so erzählte sie uns, sei er mit ihrer kleinen Schwester zusammen gewesen. Die war damals
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