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Der Fall Sneijder

Der Fall Sneijder

Titel: Der Fall Sneijder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Paul Dubois
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ein paar Kollegen an einer Sondernummer der Zeitschrift, deren Verlagsräume sich im dreiundvierzigsten Stock des McGraw-Hill Hochhauses in New York befanden. Kurz vor Mitternacht macht White eine Pause. Er sieht sich eine Sportreportage im Fernsehen an und beschließt, vor dem Eingang des Hochhauses eine Zigarette zu rauchen. Er lässt sein Jackettüber der Stuhllehne liegen und sagt seinen Kollegen, dass er in fünf Minuten zurück ist. Unten zündet er sich seine Zigarette an, macht zur Entspannung ein paar Schritte und geht schließlich, noch immer in Hemdsärmeln, wieder hinein, um sein Arbeitspensum zu erledigen. In dem Hochhaus hinter dem Rockefeller Center gibt es zahlreiche Aufzüge. Wahllos steigt er in eine der wartenden Kabinen, einen Expressaufzug, Nummer 30. Der hat den Vorteil, dass er nur die Etagen ab dem neununddreißigsten Stock anfährt. Der Aufzug fährt normal an, doch plötzlich geht die Beleuchtung aus, schaltet sich wieder ein, und der Aufzug bleibt stecken. White, der ganz allein in der Kabine ist, sieht sich die Knopfleiste an und betätigt den Notruf. Doch statt einer Antwort ertönt nur ein langes verrauschtes Schweigen. Er drückt auf den Alarmknopf, dessen weckerähnliches Klingeln niemanden ernsthaft alarmieren kann.
    White setzt sich in eine Ecke und beruhigt sich mit dem Gedanken, dass früher oder später jemand seine Abwesenheit bemerken muss und die Überwachungskameras, mit denen alle Aufzüge ausgestattet sind, das Wachpersonal des Hochhauses auf ihn aufmerksam machen werden.
    Um sich die Zeit zu vertreiben, durchsucht White seine Taschen. Die Ausbeute ist mager: drei Zigaretten und zwei Rolaidtabletten gegen Magenbeschwerden.
    Die Stunden vergehen, und so langsam überkommt ihn das merkwürdige Gefühl, dass ihm gerade etwas ganz Dummes widerfährt. White hat seine Uhr auf dem Schreibtisch liegen lassen und sein Zeitgefühl verschwimmt allmählich. Es gibt keine Stunden, nur noch Müdigkeit und tiefe Niedergeschlagenheit, in die sich ein wenig Verbitterung mischt. Wiekonnten seine Kollegen, denen er doch gesagt hatte, dass er in fünf Minuten wiederkäme, sich so wenig um seinen Verbleib scheren und beim Verlassen des Büros an seinem angeschalteten Computer, dem Jackett, der Uhr und all seinen Sachen vorbeigehen? »Ich komme in fünf Minuten wieder«, hatte er gesagt. Und womöglich bricht schon der Tag an. White legt sich auf den Teppichboden. Aus der Nähe betrachtet, ist der Boden abstoßend dreckig, voll Zeug, das sich in die Fasern eingenistet hat, sogar abgeknabberte Fingernägel sind darunter. Diese Einzelheit ekelt ihn mehr als alles andere. Er versucht ein wenig zu schlafen, doch vergeblich. Die Erregung gewinnt die Oberhand. Er raucht eine Zigarette, eine zweite und schließlich die letzte. Ihm bleiben nur noch zwei Rolaids, und er hat schrecklichen Durst. Erneut drückt er den Alarmknopf, betätigt den Notruf, schreit so laut er kann, hüpft vor der Kamera auf und ab, in der Hoffnung, dass jemand an den Überwachungsbildschirmen ihn sieht. Er denkt an all die Typen, die mit ihm zusammenarbeiten und nun ihr Wochenende genießen. Sie sind gegangen, ohne Rücksicht auf Verluste. Er würde sich gern hinlegen, aber da sind diese Nägel. Der Dreck. Und die grelle Deckenbeleuchtung.
    White hat Durst. Und er würde gern pinkeln. Er tigert in seinem Käfig hin und her. Versucht, die Türen aufzudrücken. Es gelingt ihm, sie einen Spalt zu öffnen, und so kann er die Zahl dreizehn an dem Betonschacht entziffern. Er steckt also im dreizehnten Stock fest. Schließlich hält er es nicht mehr aus und pinkelt gegen die Wand. Er versteht noch immer nicht, wie das möglich ist. Es gibt acht Wächter in der Zentrale, acht Typen, deren einzige Aufgabe darin besteht, die Bildschirme zu beobachten. Und White ist auf einem von ihnenzu sehen. Er bewegt sich, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, aber niemand nimmt ihn wahr. Es gibt keine Zeit mehr, nur noch eine Kabine, aus der nichts nach außen dringt, in die niemand hinein- und aus der niemand herauskommt. White erwägt, durch die Klappe in der Decke zu entfliehen, so wie er es in Filmen gesehen hat. Er klettert an den Wänden hinauf, muss aber feststellen, dass die Öffnung versiegelt ist. Dann legt er sich hin. Er findet sich mit den Nägeln ab. Benutzt seine Schuhe als Kopfkissen. Leert sein Portemonnaie, klappt es auf und legt es wie eine Maske über die Augen, um sich vor dem Licht zu schützen. Er ruht sich ein wenig aus und

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