Der Fall
Sara ihre Bluse aufknöpfte.
»Ja«, antwortete sie.
Jared, dem der abwesende Gesichtsausdruck seiner Frau nicht entgangen war, fragte: »Hast du was? Du bist schon den ganzen Abend so still.«
»Nein. Was sollte ich denn haben?« Sie machte ihren BH auf und streifte ihren Rock nach unten. Als sie fertig ausgezogen war, schlüpfte sie in ein altes Columbia-T-Shirt und stieg ins Bett. »Glaubst du, er –«
»Pop ist nicht unterzukriegen«, sagte Jared und schlüpfte zu ihr unter die Decke. »Wenn er nicht so zäh wäre, wäre er nicht so alt geworden.«
Jared dachte lange über Pops Unfall nach. So etwas konnte jedem passieren, dachte er. Es gab keinen Grund, eine Warnung Raffertys darin zu sehen.
Das versuchte sich Jared immer wieder einzureden. Allerdings vergeblich. In der Hoffnung, auf andere Gedanken zu kommen, schmiegte er sich an seine Frau. »Bitte nicht«, sagte Sara und schob ihn von sich.
Überrascht sah Jared seine Frau genauer an. Sie lag auf dem Rücken, starrte an die Decke und hielt mit geballten Fäusten die Bettdecke umklammert. Ihre Augen bewegten sich mit einer Sprunghaftigkeit, die Jared lange nicht mehr an ihr beobachtet hatte. Nach dem, was Pop zugestoßen war, hatte sie eindeutig Angst.
Jared rutschte näher an sie heran und drückte ihr einen zärtlichen Kuss auf die Wange. »Er wird bestimmt wieder ganz gesund«, sagte er.
»Es ist nicht nur das.«
»Was sonst noch? Deine Eltern?«
»Nein«, sagte Sara. Komm schon, dachte sie, frag noch mal!
»Was dann?«
»Der Fall. Ich möchte, dass du ihn abgibst.«
»Was? Was soll der Fall –«
»Ich möchte nicht gegen meinen eigenen Mann antreten, Jared. Dafür ist das Leben zu kurz.« Während sie wartete, dass er das verdaute, beobachtete sie seine Augen. Als er den Blick abwandte, wusste sie, dass das gesessen hatte. In der Hoffnung, ihm den Rest zu geben, setzte sie nach: »Ich meine, du und Pop, ihr seid die einzigen –«
»Sara, ich kann verstehen, dass du dir wegen Pop Sorgen machst, aber wie oft willst du damit noch anfangen?«
»Du verstehst nicht –«
»Ich verstehe sehr wohl – ich weiß, was du heute durchgemacht hast. Und ich mag Pop mindestens so sehr, als würde er zu meiner Familie gehören. Es ist nur, dass …«
»Ja, was?«
»Dass ich …« Jared geriet ins Stocken. Nach Pops Unfall brauchte sie ihn. Er wollte sie nicht im Stich lassen. Doch dann musste er wieder, wie immer, an Rafferty denken. Mehr war nicht nötig. Egal, was sonst geschah, er durfte Sara unter keinen Umständen in Gefahr bringen. »Ich weiß, Pops Unfall hat bei dir wieder alte Wunden aufgerissen, aber so Leid es mir tut, es gibt nichts, was ich dagegen machen könnte.«
Sara wusste, er hatte recht. Aber es ging nicht nur um Pop. Es ging auch um Jared. Als sie sich von ihrem Mann abwandte, spulte sie in ihrem Kopf noch einmal das Gespräch mit dem Fremden in ihrem Büro ab. Hier musste sie ansetzen. Mit ihm hatte alles angefangen. Dann die Drohung gegen Jared. Dann Monaghan. Dann die Angst in Pops Augen, als er in das Krankenzimmer geschoben wurde. Dann der Anruf des Fremden. Dann der Verlust ihrer Eltern. Darauf schien es für Sara immer hinauszulaufen. Sie schloss ganz fest die Augen und kämpfte gegen die schmerzlichen Gefühle an, die in ihr hochstiegen. Sie biss die Zähne zusammen und atmete ganz langsam. Nach und nach beruhigte sie sich wieder. Nachdem sie sich die Augen gewischt hatte, damit keine Tränen mehr zu sehen waren, drehte sie sich auf die andere Seite und blickte auf die Krümmung von Jareds Rücken. Ohne Frage war er das Wichtigste in ihrem Leben, und sie würde alles tun, damit ihm nichts zustieß. Nach einer Weile tippte sie ihm auf die Schulter und sagte: »Ich wollte dir bloß sagen, ich tue das nur, weil ich dich liebe.«
»Ich weiß«, flüsterte Jared. »Ich liebe dich auch.«
»Ich glaube, er war kurz davor, es ihr zu sagen«, sagte Raffertys Gast und nahm den Kopfhörer ab.
»Nein, war er nicht«, sagte Rafferty.
»Sie haben doch gar nicht mitgehört.«
»Glauben Sie mir, er hätte nichts gesagt. Dazu ist er viel zu clever.«
»Wenn Sie so sicher sind, dass er den Mund halten wird, warum soll ich dann immer noch ihre Gespräche belauschen?«
»Weil nach einem Tag wie diesem jeder versucht wäre, es seinem Partner zu erzählen. Saras Großvater ist in ziemlich schlechter Verfassung – das hat sie einander merklich näher gebracht. Aber wenn Jared heute Nacht nichts sagt, können Sie sicher sein, dass er
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