Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)
willst du es versuchen?“
Alep nahm die Holzfigur in die Hand. „Später“, erklärte er. Er betrachtete den Golem bewundernd. Etwas schöneres hatte er nie zuvor gesehen. Kwins Meisterstück war perfekt.
Der Tischler hatte das Versprechen, das er Rodgatt gegeben hatte, eingelöst. Der Freigolem war nicht größer als eine ausgestreckte Hand. Er besaß keinen Kopf, so wie Kwin es angekündigt hatte. Das rechte Bein des Golems und sein linker Arm waren aus Metall, sein linkes Bein, der rechte Arm sowie der Rumpf waren aus Eichenholz gefertigt. In der rechten Hand trug der Freigolem einen Eichenstab, auf dessen Spitze eine von Türmer geschmiedete Klinge steckte.
Die Ähnlichkeiten waren Alep nicht entgangen. Die Figur sah aus wie er und der Stab war seinem Eschenstab nachempfunden.
Kwin bemerkte Aleps fragenden Blick und zuckte grinsend die Schulter. „Es ist immer leichter, nach einem Vorbild zu gestalten. Du kamst mir gerade recht.“
An diesem Abend versammelten sich die Gefährten wie immer zum gemeinsamen Abendessen in der Empfangshalle. Konk und Danea trugen still das Essen auf, denn an diesem Abend herrschte eine eigenartige Spannung am Tisch. Es schien, als spürte jeder, dass heute Entscheidungen getroffen werden würden, die sowohl die Zukunft des Landes beeinflussen, als auch ihr selbst gewähltes Exil in Lindenbrunn beenden würden.
Kwin schob schließlich seinen Teller von sich und sah in die Runde. Aufmerksame Gesichter wandten sich ihm zu.
„Heute ist es soweit, Freunde. Der Freigolem ist fast fertig, meine Arbeit ist getan. Alles, was Türmer und ich gestalten konnten, ist vollendet. Nun liegt es an Alep, den Golem zu beleben.“
Alep räumte in der Mitte des Tisches eine Fläche frei und legte Kwins Meisterstück in die Mitte.
Kwin und N’Gucha, Lisett, Oberst Nika, Yanea, Prak, Taukon, Adengard, Rendon, Türmer und sogar Tallis Lomen hatten sich nach vorne gebeugt und betrachteten schweigend, fast ehrfürchtig, die Arbeit der beiden Handwerksmeister.
Alep hielt die letzte Drachenschuppe fest in der Hand und vertrieb die Unruhe. Er hatte schon zuvor bei Juwel einen Fehler gemacht, zwar keinen entscheidenden und wie sich jetzt zeigte auch keinen dauerhaften, aber das machte es nicht besser und nagte noch immer an seinem Stolz. Er hatte viele Stunden an den Versen gearbeitet, hatte sich von seiner Intuition, den Lehrsätzen Rodgatts und dem Wissen und der Erfahrung Wiggets leiten lassen.
Die leichteste aller vorbereitenden Aufgaben war die der Namensfindung gewesen. Alep und Wigget waren Möglichkeiten durchgegangen und hatten sich dann, in Erinnerung an Kwins Erzählung über den Silberahorn im Talikon entschieden, den Freigolem ‘Eichenherz’ zu nennen. Er hatte Kwin seine Entscheidung mitgeteilt und dieser hatte lächelnd genickt. „Ja, das gefällt mir, und Eichenherz würde es sicher auch gefallen.“
Es war Zeit, anzufangen. Alep nahm die Schuppe in beide Hände und schloss die Augen.
Er wechselte auf die Geistebene und versenkte sich in die Sinnbilder der Elemente Wasser und Erde, Feuer und Luft. Er spürte, wie die gefangene Magie erwachte und sich gegen die Fesseln des Meistermagiers stemmte. Alep nahm die Drachenschuppe zu Hilfe und öffnete die Abschirmung, bis die Magie ungehindert fließen konnte. Dann richtete er sie auf den Golem und sagte:
„Im Talikon, im Drachenland
entschlafen die Erwählten.
Sie sind mit Zauberei gebannt
weil sie die Hoffnung wählten.
Sie zu befreien ist die Pflicht
der letzten Auserwählten.
Ein Golem bringe wieder Licht
den Herzen der Gequälten.“
Alep beugte sich vor und steckte die Schuppe mit dem dünnen Ende nach unten auf den Hals der Holzfigur.
Oberst Nika schnaubte überrascht, als die Drachenschuppe sich langsam verwandelte. Sie zog sich zusammen und sogleich begannen sich die Konturen des Golemkopfes abzuzeichnen. Die vormals flache Schuppe wuchs und dehnte sich nach allen Seiten aus. Die Konturen eines Gesichtes zeichneten sich ab, Augen, Nase und Mund. Ein starker Hals bildete sich in der Verbindung von Kopf und Rumpf. Es schien den Beobachtern, dass der Golem sich nun jeden Augenblick erheben würde. Aber er blieb still liegen, bewegungslos, unbelebt.
Das Wichtigste fehlte noch. Alep richtete seinen Fokus auf die Stabklinge, die N'Gucha mit beiden Händen hielt und lenkte die Energien jetzt über diesen Fokus in die Figur.
Alep sagte:
„Hast du die Jagd erst angefangen
dann wachse über dich
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