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Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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ist da?« Die heisere Stimme des Griechen klang unwillig und verschlafen.
    »Hier ist Nikolai, wir kennen uns. Ich rufe aus der Villa von General Gerassimow an. Wir haben hier eine Notsituation und
     brauchen Ihre Hilfe.«
    Da seine Hilfe stets großzügig belohnt wurde, war der Grieche sofort hellwach und fragte munter: »Ja, was ist denn passiert?«
    Nikolai erklärte, der Sohn des Generals sei außer sich, die Nachricht von der Krankheit seines Vaters und seine eigenen Probleme
     hätten gravierende Auswirkungen auf seine Psyche.
    »Er hat einen Nervenzusammenbruch, wir brauchen dringend die Hilfe eines Psychiaters. Aber natürlich diskret, wie Sie verstehen
     werden«, ergänzte er. »Und so schnell wie möglich.«
    Der Grieche erwiderte, er werde sich bemühen und tun, was in seiner Macht stehe.
    Von Hoffnung beflügelt, stürzte sich Nikolai erneut in den Kampf, und bald hatte er Stas überwältigt, ihn auf den Boden geworfen,
     in eine Gardine gewickelt wie in eine Zwangsjacke und auf das Sofa im Wohnzimmer gelegt.
    Der tobsüchtige Patient zappelte und stieß heisere Flüche aus, doch in festes Nylon gewickelt, war er nicht mehrgefährlich, und Oxana wagte sich mit einem Fläschchen Baldrian und einem Esslöffel zu ihm. Andere Beruhigungsmittel waren
     nicht im Haus.
    »Dieses Miststück hat Zaubertinte benutzt«, sagte er zu Oxana, »und ihr Pass ist falsch, sie ist keine Französin.«
    »Ja, natürlich, Stanislaw.« Oxana schluchzte, tropfte das Beruhigungsmittel auf den Löffel, kam beim Zählen durcheinander,
     goss schließlich den ganzen Löffel voll und führte ihn an Stanislaws Lippen.
    »Was ist das?«, fragte er argwöhnisch.
    »Baldrian«, erklärte Oxana. »Zur Beruhigung.«
    Er schniefte, wandte sich ab und fing plötzlich bitterlich an zu weinen, wie ein Kind.
    »Warum machen sie das mit mir? Ich bin nicht schuld. Ich bin an nichts schuld.«
    »Natürlich nicht, Stanislaw, Sie sind an gar nichts schuld.« Oxana nickte. »Nehmen Sie die Medizin, dann bringe ich Ihnen
     einen Schluck Wasser.«
    Er schüttelte den Kopf. »Erst du.«
    Oxana begriff nicht. »Was?«
    »Schluck das erst selber«, erwiderte er. »Ich traue keinem mehr.«
    Das Mädchen wurde flammendrot und schaute fragend zu Nikolai, der rauchend in einem Sessel saß.
    »Widersprich ihm nicht«, riet er leise. »Nimm einen Schluck davon.«
    Nachdem Oxana einen Schluck von der dunklen Flüssigkeit genommen hatte, sträubte sich Stas nicht mehr gegen die Medizin. Erstaunlicherweise
     half sie. Er schluchzte noch ein paarmal bitterlich, schloss die Augen und wurde still. Vielleicht aus purer Erschöpfung nach
     dem Tobsuchtsanfall.
    Oxana machte sich ans Aufräumen, Nikolai half ihr dabei.
    »Aber solche Tinte gibt es wirklich«, bemerkte sie vorsichtig, während sie die Splitter auffegte, »die gibts in jedem Spielzeugladen.
     Der Sohn meiner Freundin, der hat an seinem Geburtstag mal alle Gäste mit einem Füller bespritzt. Das gab schlimme Flecke,
     aber sie sind bald spurlos vollkommen verschwunden.«
    »Stimmt, solchen Mist gibts.« Nikolai verzog das Gesicht und tastete mit der Zunge den spitzen noch verbliebenen Rest seines
     Vorderzahnes ab. »Aber das heißt anders. Bei Zaubertinte ist es genau umgekehrt, die ist erst unsichtbar und wird nur durch
     Erwärmung oder chemische Reaktion sichtbar.«
    Schweigend räumten sie weiter auf.
    Bald hupte draußen ein Auto. Iliadi erschien in Begleitung einer fülligen älteren Frau. Sie sprach Englisch. Die Ärztin hörte
     sich mit steinernem Gesicht den Bericht an, dann fragte sie: »Trinkt er?«
    »Nein. Er trinkt so gut wie nicht.«
    »Seltsam. Was Sie da beschreiben, klingt nach Delirium. Ist so etwas früher schon vorgekommen?«
    »Ich glaube nicht.« Nikolai zuckte unsicher die Achseln.
    »Hat er Ihnen das Gesicht demoliert?«
    »Ja.«
    »Ich fürchte, er muss ins Krankenhaus. Er ist aggressiv und gefährlich. Erst stürzt er sich auf die Frau auf dem Flughafen,
     dann auf Sie. Ich werde das der Polizei melden müssen.«
    Der Grieche flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie nickte und stand auf.
    »Na schön, ich werde ihn erst einmal untersuchen.«
    Sie gingen alle zum Sofa, die Ärztin setzte sich zu Stas, berührte sanft seine Schulter und fragte leise und freundlich: »Wie
     geht es Ihnen?«
    Stas zappelte in seiner Gardine herum und versuchte,sich aufzusetzen, Nikolai half ihm, band ihn jedoch nicht los.
    »Was ist passiert?«, fragte er Stas auf Russisch, die trüben Augen auf- und

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