Der falsche Freund
fand.
»Darf ich Sie zum Abendessen einladen?«, fragte er.
»Tut mir Leid, ich …« Einen Moment lang versuchte ich, mir eine Ausrede einfallen zu lassen, aber dann dachte ich mir: wieso eigentlich? »Ich kann leider nicht.«
Ich kam nicht mal in Versuchung. Sein Anzug gefiel mir nicht.
Außerdem wollte ich mir die Sachen ansehen, die Brendan zurückgelassen hatte, als er mich kennen lernte. Die Dinge, die er nicht mehr brauchte. Nachdem wir die beiden Kisten in meinen Wagen geladen hatten, fragte Tom mich nach meiner Telefonnummer. Ich gab sie ihm. Was spielte das noch für eine Rolle? Ich würde sowieso bald eine neue Nummer haben.
Zu Hause leerte ich die Kisten sofort auf meinen Wohnzimmerboden und begann ihren Inhalt zu inspizieren. Auf den ersten Blick sah er recht vielversprechend aus, aber als ich die Sachen näher in Augenschein nahm, entpuppten sie sich schnell als nichts sagend und enttäuschend. Das meiste war wirklich Krimskrams, wie er neben dem Bett jeder beliebigen Person hätte liegen können, sodass ich nicht verstand, wieso Tom die Sachen nicht weggeworfen hatte: ein paar vergilbte Zeitungen, ein Urlaubskatalog für Griechenland, ein paar Taschenbücher, ein einzelner brauner Schnürsenkel, eine Straßenkarte von London, eine Uhr mit Plastikband, ein paar leere Musikkassetten, etliche Briefe: Werbung für Kreditkarten oder besonders günstige Kredite. Die meisten Umschläge waren ungeöffnet. Außerdem fand ich ein paar ausgetrocknete Stifte ohne Kappen, eine Papierschere aus Kunststoff, einen Bierdeckel, einen billigen Taschenrechner, eine kleine Taschenlampe ohne Batterien, jede Menge Büroklammern, eine Plastikflasche mit Augentropfen. Das Ganze war eine Ansammlung banaler Gegenstände. Es schien nichts Persönliches darunter zu sein, nichts, was wirklich mit Brendan zu tun hatte.
Erst ganz zum Schluss entdeckte ich eine handgeschriebene Notiz auf einem linierten Stück Papier, das aussah, als wäre es aus einem Notizbuch herausgerissen worden. Die Notiz war in einer schlampigen, fast kindlich wirkenden Schrift gekritzelt:
»Nan ist im St. Cecilia’s.« Darunter stand eine Adresse in Chelmsford und eine Zimmernummer.
Ich starrte auf das Stück Papier und wünschte, ich hätte es nie gesehen. Hätte jetzt eine Freundin neben mir gesessen – eine Freundin wie Laura –, dann hätte sie mich bestimmt gefragt, was ich da eigentlich machte, und ich hätte wahrscheinlich geantwortet: »Das weiß ich auch nicht so genau.«
Darauf hätte sie sicher gesagt: »Sei doch froh, dass du ihn endlich los bist. Was hast du noch mit ihm zu schaffen?«
Worauf ich vielleicht geantwortet hätte: »Mal angenommen, ich öffne im Zoo versehentlich einen Käfig und lasse ein gefährliches Tier entkommen. Es kratzt und beißt mich, dann ist es weg. Soll ich mich einfach nur freuen, dass ich keinen schlimmeren Schaden davongetragen habe, und mein Leben weiterleben, oder bin ich noch für die Sache verantwortlich?«
Meine Freundin hätte möglicherweise entgegnet: »Du hast ihn nicht auf die Welt losgelassen. Du hattest bloß das Pech, ihm zufällig über den Weg zu laufen. Er hat dir schreckliche Dinge angetan, aber inzwischen ist er wieder aus deinem Leben verschwunden. Willst du wirklich den weiten Weg bis Chelmsford fahren, um aus einem Grund, der dir selbst nicht ganz klar ist, mit jemandem zu reden, den du nicht kennst?«
An diesem Punkt hätte ich wohl lange nachgedacht und dann gesagt: »Ich wünschte, dieser Tom hätte den ganzen Krempel einfach in die Tonne geworfen, dann würde sich die Frage gar nicht stellen. So aber muss ich dauernd an die Leute denken, mit denen ich im vergangenen Jahr auf der Schlittschuhbahn war.
Sie haben gewusst, dass mit Brendan etwas nicht stimmte. Oder hätten es wissen müssen. Sie haben ihn mit mir flirten sehen.
Mit einem oder zwei von ihnen war ich befreundet. Sie hätten mich vor ihm warnen sollen.«
Vielleicht hätte meine Freundin gesagt: »Du machst dir über Leute Gedanken, die du gar nicht kennst, wildfremde Menschen, die du nie zu Gesicht bekommen wirst.«
Und ich hätte geantwortet: »Ja. Blöd, oder?«
Es war, als würde Gott höchstpersönlich versuchen, mich von meinem Vorhaben abzubringen. Es regnete während der ganzen Fahrt, und ich verpasste die richtige Abzweigung von der A 12, weil ich gerade die Karte auf meinem Schoß studierte. Trotz aller Schwierigkeiten gelang es mir am Ende doch, das St.
Cecilia’s zu finden, ein tristes rechteckiges
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