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Der falsche Freund

Titel: Der falsche Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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hinaus, die sich dunkel vor dem Abendhimmel abzeichneten. Ich fühlte mich sehr weit weg von Zuhause. Verloren. Aus einem Impuls heraus rief ich noch einmal bei Don an, und als er ranging, sagte ich ganz schnell, ehe ich es mir anders überlegen konnte: »Sie haben doch beim letzten Mal etwas von einem Drink erwähnt. War das ernst gemeint?«
    »Ja«, antwortete er, ohne zu zögern. »Wann haben Sie Zeit?
    Jetzt gleich?«
    »Nein, jetzt geht es nicht. Vielleicht morgen?«
    »Großartig.«
    Er schien sich wirklich zu freuen, und eine Ahnung dieser Freude blieb bei mir im Wagen, nachdem ich mich von ihm verabschiedet hatte – ein klein wenig Sonnenlicht in der Düsternis.

    Ich muss eingedöst sein, denn als ich plötzlich hochfuhr, stellte ich fest, dass es fast schon dunkel war und der Verkehr auf der Straße merklich nachgelassen hatte, auch wenn vor dem Pub ein paar Häuser weiter immer noch ein Grüppchen von Leuten stand. Es war kurz vor neun, mein ganzer Körper fühlte sich steif an, mir tat alles weh, und ich hatte Durst. Ich startete den Wagen, schaltete das Licht ein, legte den Rückwärtsgang ein, löste die Handbremse, warf einen Blick in den Rückspiegel und erstarrte.
    Wenn ich ihn im Spiegel sehen konnte, sah er mich dann auch? Nein, bestimmt nicht. Für ihn war ich bloß ein Streifen Gesicht, zwei Augen. Ich schaltete den Motor und die Scheinwerfer wieder aus und ließ mich ein Stück nach unten gleiten. Gleich darauf ging er an meinem Lieferwagen vorbei, nur einen halben Meter von mir entfernt. Ich hielt die Luft an. Er blieb vor der Tür des Crabtrees stehen, wo die junge Frau gerade das »Geöffnet«-Schild auf die »Geschlossen«-Seite drehte. Als sie Brendan entdeckte, hellte sich ihre Miene auf, und sie hob eine Hand zum Gruß, ehe sie ihm die Tür aufmachte. Ich setzte mich ein bisschen aufrechter hin und beobachtete, wie er sie in den Arm nahm. Sie schmiegte sich an ihn, und er küsste sie erst auf die Augen und dann auf den Mund.
    Sie war sehr schön, Brendans neue Freundin. Und sehr jung –
    bestimmt nicht älter als ein- oder zweiundzwanzig. Sie schien völlig vernarrt in ihn zu sein. Ich beobachtete, wie sie die Hände in sein dichtes Haar schob und sein Gesicht noch einmal zu sich heranzog. Genervt schloss ich die Augen und stöhnte laut auf.
    Was auch immer Don und mein gesunder Menschenverstand mir sagten, ich konnte es nicht sein lassen – nicht, nachdem ich die Sommersprossen auf ihrer Nase und ihre strahlenden Augen gesehen hatte.
    Die Frau holte ihren Mantel und schloss die Tür ab. Sie winkte jemandem zu, der sich noch im Café befand, dann gingen sie und Brendan Arm in Arm in die Richtung, aus der er gekommen war. Ich wartete, bis sie fast außer Sichtweite waren, stieg dann aus und folgte ihnen. Vor einem Eingang zwischen einem Fahrradladen und einem rund um die Uhr geöffneten Lebensmittelgeschäft blieben sie stehen und lösten sich voneinander. Das Mädchen suchte in ihrer Tasche nach ihrem Schlüssel. Demnach war es ihre Wohnung, dachte ich. Typisch.
    Brendan war immer der Kuckuck in den Nestern anderer Leute.
    Sie drückte die Tür auf, und die beiden verschwanden im Haus.
    Kurz darauf ging in einem Zimmer im ersten Stock das Licht an. Einen Moment lang sah ich Brendan im Schein einer Lampe am Fenster stehen. Er zog die Vorhänge zu.

    36. KAPITEL
    Es war nicht gerade ein normales erstes Rendezvous: Wir stöberten in einer ehemaligen Kirche in Hackney herum, die man vor ein paar Jahren in ein Reclamation Centre umgewandelt hatte. Aber vielleicht war es besser so – es hat ohnehin immer etwas Peinliches, sich von Angesicht zu Angesicht in einem Pub gegenüberzusitzen, billigen Wein zu trinken und einander auf den Zahn zu fühlen, indem man höfliche Fragen stellt. Don stand im vorderen Teil der Kirche, wo sich früher der Altar befunden hatte, und bewunderte gerade eine Metallbadewanne mit stämmigen Füßen, während ich im hinteren Teil ein paar steinerne Wasserspeier betrachtete. Abgesehen von dem Mann, der uns hereingelassen, sich jedoch wieder in sein Büro in der Seitenkapelle zurückgezogen hatte, waren wir allein. Alles war in mattes farbiges Licht getaucht, und wenn wir miteinander sprachen, hallten unsere Stimmen in dem großen Raum wider.
    »Warum kenne ich das noch nicht?«, rief er und deutete auf die ihn umgebenden Steinblöcke, die großen Holzschränke, die Porzellanwaschbecken, die an der Wand lehnten, die Kisten voller Messingtürklinken und

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