Der falsche Freund
ein, »das kann warten. Ich würde gern noch etwas sagen. Ich habe den Großteil meines Lebens bei Pflegeeltern verbracht, wurde von einer Familie zur nächsten weitergereicht. Ich war ein einsamer kleiner Junge und wusste nicht, was es heißt, wirklich zu einer Familie zu gehören und von ihr geliebt und akzeptiert zu werden.« Während er sprach, rollten zwei große Tränen genau parallel seine Wangen hinunter. Er wischte sie nicht weg. »Als ich zum ersten Mal hierher kam«, fuhr er fort, »und euch, Derek und Marcia, kennen lernte, hatte ich plötzlich das Gefühl, heimgekommen zu sein. Ich fühlte mich bei euch zu Hause. Was kann ich noch sagen? Vielen, vielen Dank. Und nun lasst uns den Champagner aufmachen, damit ihr auf unser Glück anstoßen könnt.«
Nun brach allgemeines Chaos aus. Meine Mutter nahm Brendan erneut in den Arm, mein Vater gratulierte per Handschlag. Zwischendrin schaffte Brendan es irgendwie, den Champagner zu öffnen. Troy erklärte achselzuckend, er finde das Ganze wirklich toll und wünsche ihnen Glück. Meine Mutter drückte Kerry so fest, dass ich schon befürchtete, sie würde ihr die Rippen brechen. Als der Champagner ausgeschenkt war, stieß mein Vater ein Hüsteln aus. O Gott, dachte ich. Noch eine Rede.
»Nur ein paar Worte«, begann er. »Das alles ist ziemlich schnell gegangen, das muss ich schon sagen.« Er lächelte meine Mutter an. Es war ein scheues Lächeln, das ihn plötzlich sehr jungenhaft aussehen ließ. »Aber wenn ich mich richtig erinnere, haben ein paar andere Leute in diesem Raum auch ziemlich impulsiv gehandelt, als sie sich kennen lernten.« Meine Eltern waren sich 1974 auf der Hochzeit von Freunden begegnet und hatten zwei Monate später geheiratet. »Manchmal sollten wir tatsächlich auf unsere Instinkte vertrauen. Und noch eins: Ich habe Kerry noch nie so freudestrahlend und schön gesehen.
Brendan, ich glaube, du kannst dich glücklich schätzen, dass du sie bekommst.«
»Ich weiß«, antwortete Brendan, und wir mussten alle lachen.
»Und nun lasst uns auf das glückliche Paar trinken«, fuhr mein Vater fort.
»Auf das glückliche Paar!«, riefen wir und stießen alle miteinander an.
Ich betrachtete Kerry. Sie war den Tränen nahe. Meine Mutter weinte richtig. Brendan putzte sich mit einem Taschentuch die Nase und wischte dann über seine feucht glänzenden Wangen.
Sogar mein Vater hatte verdächtig nasse Augen. In dem Moment schwor ich mir etwas. Ich würde alles in meiner Macht Stehende tun, damit die beiden miteinander glücklich wurden.
Oder ihrem Glück zumindest nicht im Weg stehen. Jemand stupste mich von der Seite an.
»Einen Penny für deine Gedanken«, sagte Brendan.
»Herzlichen Glückwunsch«, erwiderte ich. »Ich freue mich sehr für euch.«
»Das bedeutet mir viel.« Er blickte sich um. Mum, Dad, Kerry und Troy standen am andern Ende des Raums beieinander und unterhielten sich lachend. Brendan beugte sich ein wenig zu mir herunter.
»Als ich vorhin die große Neuigkeit verkündete, habe ich dich angesehen«, erklärte er. »Du hast einen geschockten Eindruck gemacht.«
»Ich war nur überrascht«, antwortete ich. »Das ist alles so schnell gegangen.«
»Ich kann verstehen, dass es schwierig für dich ist.«
»Überhaupt nicht.«
»Während ich sprach, habe ich auf deinen Mund geschaut«, fuhr er fort.
»Bitte?«
»Du hast einen schönen Mund.« Er rückte noch ein Stück näher an mich heran. Ich spürte seinen säuerlich riechenden Atem auf meinem Gesicht. »Und ich musste daran denken, dass ich in diesem Mund gekommen bin.«
»Was?«
»Das ist schon seltsam.« Er sprach inzwischen sehr leise.
»Ich heirate deine Schwester und denke an mein Sperma in deinem Mund.«
»Was?«, wiederholte ich, diesmal etwas zu laut.
Die anderen hörten zu reden auf und sahen zu uns herüber. Ich spürte etwas Heißes, Fiebriges auf meiner Haut.
»Entschuldigt mich«, sagte ich. Mein Mund fühlte sich seltsam klebrig an. Ich stellte mein Glas ab und verließ rasch den Raum.
Im Gehen hörte ich Brendan etwas sagen. Ich schaffte es gerade noch rechtzeitig. Über die Kloschüssel gebeugt, übergab ich mich immer wieder, bis nichts mehr übrig war als heiße Flüssigkeit, die in meinem Mund und meinem Hals brannte.
8. KAPITEL
»Bistdu sicher, dass du das machen willst, Miranda?«
»Was? Ja, klar. Wir werden bestimmt Spaß dabei haben.«
Meine Gedanken waren ganz woanders. Mit Nick im Bett. Er war die ganze Nacht geblieben. Irgendwann
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