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Der falsche Freund

Titel: Der falsche Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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der Kälte gerötete Wangen. Ihr helles Haar trug sie wie ein kleines Mädchen zu Zöpfen geflochten. Sie war mit einer Schachtel beladen: Kleie, Kräutertee, Vitamintabletten, Alfaifabohnen, Holunderblütensirup aus biologischem Anbau.
    Bevor sie mich umarmen konnte, musste sie erst die Schachtel auf dem Boden abstellen.
    »Lass die Tür bitte auf«, sagte sie. »Wir haben noch jede Menge im Wagen. Mum, Dad und Troy kommen dann mit dem Rest.«
    »Keine Angst«, meinte Brendan. »Wir haben nur das Allernötigste dabei.«
    »Ich ziehe mir was an, dann helfe ich euch beim Tragen.«
    »Wie wär’s, wenn du stattdessen Kaffee für uns machst?«, schlug Brendan vor. »Gefrühstückt haben wir auch noch nicht, stimmt’s, Kerry? Wir waren so im Stress.«
    »Ihr wart so im Stress. Ich weiß gar nicht, wo ihr die Energie hernehmt.«
    Er grinste einen Moment süffisant, dann sagte er: »Bloß Toast und Marmelade, das reicht uns völlig. Oder hast du Tahini?«
    »Was?«
    »Kerry und ich versuchen, uns möglichst gesund zu ernähren.«
    Er streckte seine große, haarige Hand aus und tätschelte Kerrys Kopf. »Wir wünschen uns ein langes gemeinsames Leben, nicht wahr, Liebling?«
    »Wir haben einen Fragebogen aus dem Internet ausgefüllt«, erklärte Kerry. »Man musste angeben, wie viel Sport man macht und was man isst, und am Ende kam heraus, in welchem Alter man sterben wird. Ich werde zweiundneunzig, Brendan sechsundneunzig.«
    »Ich habe nur Marmelade«, antwortete ich.
    Nachdem ich ins Schlafzimmer zurückgekehrt war, setzte ich mich erst mal aufs Bett und atmete ein paarmal tief durch, um mich wieder zu beruhigen. Dann zog ich mich in aller Ruhe an, bürstete mir unnötigerweise das Haar, machte das Bett. Das Telefon klingelte, aber draußen nahm jemand ab, ehe ich rangehen konnte.
    Als ich das Schlafzimmer wieder verließ, stand die Wohnungstür immer noch offen. Inzwischen waren auch meine Eltern und Troy eingetroffen. Auf einem der Sessel thronte ein kleiner Fernsehapparat. Auf dem Küchentisch standen ein Computer samt Drucker, ein tragbarer CD-Player, neben dem ein paar CDs gestapelt waren, außerdem eine Nachttischlampe, deren Kabel auf den Boden hing. Neben der Tür sah ich drei große, prall gefüllte Taschen. Am schlimmsten fand ich den Berg aus Schuhen, seine vermischt mit ihren, der für mich fast schon etwas erschreckend Intimes hatte. Daneben lehnten zwei Tennisschläger an der Wand, ein Trimmrad versperrte den Eingang zum Bad. Auf den Arbeitsflächen in der Küche war allerlei Krimskrams verteilt: zwei elektrische Zahnbürsten, eine Flasche Kontaktlinsen-Reinigungsflüssigkeit – wieso war mir gar nicht aufgefallen, dass Brendan Kontaktlinsen trug, als wir zusammen waren? –, Antischuppenshampoo, ein Schminktäschchen, ein zweiter Toaster, ein Bügeleisen, ein gerahmtes Foto, das Brendan und Kerry Arm in Arm auf einer Holzbank zeigte, stapelweise Reiseprospekte, ein verheddertes Glockenspiel, das Kerry schon seit ihrer Teenagerzeit besaß.
    Wie hatten die beiden es bloß geschafft, in so kurzer Zeit so viel Zeug anzusammeln?
    Ich blieb einen Moment lang im Türrahmen stehen und starrte sie an. Brendan mahlte Kaffeebohnen, und Kerry machte für alle Toast mit Marmelade. Es roch bereits tröstlich nach verbranntem Brot. Mum war lässiger gekleidet, als ich es von ihr gewöhnt war. Sie trug eine alte Kordhose und ein kariertes Hemd. Sie hatte sich das Haar hinter die Ohren gestrichen, und einen Moment lang war ich verblüfft, wie unbekümmert sie wirkte. Sie hielt einen Strauß bunter Dahlien in der Hand.
    Brendan legte den Arm um sie, woraufhin sie sich lachend an ihn lehnte und ihm die Blumen unter die Nase hielt. Ich warf einen Blick zu meinem Vater hinüber, aber den schien das nicht im Geringsten zu stören. Er blickte sich gerade mit strahlender Miene im Raum um. Er war unrasiert und hatte Marmelade am Kinn.
    Troy saß auf einer zusammengefalteten Steppdecke am Boden, den Rücken gegen das Sofa gelehnt. Er war mit einer Art Puzzle beschäftigt, das ich ihm am Donnerstag zuvor geschenkt hatte, bestehend aus einer Reihe von Styroporformen, die sich laut Anleitung auf der Verpackung zu einem Würfel zusammenfügen ließen. Ich betrachtete sein konzentriertes Gesicht. Er wirkte schmal, blass und müde. Seinen Augenringen nach zu urteilen hatte er geweint, aber er strahlte auch etwas Friedliches aus.
    Troy ist der einzige Mensch, den ich kenne, der gleichzeitig glücklich und traurig sein kann. Er schob

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