Der falsche Mann
Präsidentschaftskandidaten – er war Delegierter auf einem ihrer Konvente gewesen, möglicherweise der, bei dem sie Lincoln nominiert hatten? – sowie mit diversen anderen politischen Größen und Prominenten. Er hatte Ehrungen von allen möglichen Juristenkammern und Bürgerorganisationen erhalten, die zum Bewundern ausgestellt waren. Hier drin sah es aus wie in einem alten italienischen Restaurant.
Richter Nash nahm in dem hohen Ledersessel hinter seinem Walnussschreibtisch Platz. Direkt über seinem Kopf hing die Flagge der Vereinigten Staaten und eine Urkunde über seine ehrenhafte Entlassung aus dem US Marine Corps im Jahr 1950, nachdem er im Koreakrieg gekämpft hatte.
Richter Nash wartete, bis die Gerichtsschreiberin bereit war. Als sie ihm ein Zeichen gab, wandte er sich an mich.
» Mr. Kolarich, ich hatte heute Morgen die Gelegenheit, Ihren umfassenden Antrag zu lesen, den ich erst heute Morgen erhalten habe. Darin werfen Sie Fragen auf, die noch weit über das hinausgehen, was wir letzten Freitag hier im Gericht diskutiert haben.«
» Das ist korrekt, Euer Ehren. Wir gewinnen ständig neue Erkenntnisse hinzu. Und das beweist mehr als alles andere, dass wir mehr Zeit für die Entwicklung dieser Beweisführung benötigen. Wenn Sie erwägen …«
» Herr Anwalt, hätte diese Suche nach Beweisen auch nur im Entferntesten etwas mit Ihrem Fall zu tun, hätte ich womöglich mehr Verständnis dafür. Aber nichts davon steht mit Ihrer Beweisführung in Verbindung. Sie verstricken sich da heillos in eine Geschichte mit Terroristen und Verschwörungen. Die Anklage darf mit Recht davon ausgehen, das s diese völlig unerwartet und aus heiterem Himmel kommen.«
» Es sind frisch entdeckte Hinweise«, erwiderte ich. » Sobald wir davon erfuhren, haben wir die Anklage informiert.«
Der Richter setzte seine Brille ab und wischte sie mit dem Taschentuch sauber. » Wenn ich jede Prozesspartei kurz vor Ende des Prozesses eine vollständig neue Beweisführung aus dem Hut zaubern ließe …«
» Das ist nicht irgendeine Prozesspartei«, unterbrach ich den Richter. » Und das ist nicht irgendein Fall.«
Er quittierte meine Unterbrechung nicht mit einem Kommentar, was ein noch schlechteres Zeichen war; offenkundig war er entschlossen, gegen mich zu entscheiden, und gestattete mir deswegen ein wenig Spielraum.
» Herr Richter, mir ist bewusst, dass mein Vorgänger auf Schuldunfähigkeit plädierte und ich ursprünglich dasselbe geplant habe. Aber ich bin auf neue Beweise gestoßen, die alles andere als wilde Spekulation sind. Wenn Sie mir nur eine Woche geben, dann bin ich in der Lage, alles hieb- und stichfest zu belegen, was ich hier behaupte. Geben Sie mir nur eine Woche.«
» Nein, Herr Anwalt. Falls sie in einer Woche oder einem Monat oder einem Jahr etwas finden sollten, dann können Sie einen Wiederaufnahmeantrag stellen. Aber wir werden dieses Verfahren nicht unterbrechen.«
» Richter …«
» Das war’s. Sie haben bis morgen Zeit, einen Zeugen aufzurufen, Mr. Kolarich, ansonsten gehen wir direkt zu den Resümees über. Ist das klar? Ms. Kotowski, halten Sie sich für den siebten Dezember um neun Uhr bereit, wenn die Verteidigung ihre Beweisführung abschließt.«
Ich schüttelte den Kopf und blickte zu Shauna. Wir hatten beide von Anfang an gewusst, dass dies ein möglicher Ausgang war. Der Richter lag falsch, doch er würde seinen Kurs nicht ändern. Ich erhob mich und starrte Richter Nash an, der bereits in seinen Unterlagen für einen anderen Fall blätterte. Erneut fiel mir die Urkunde der ehrenhaften Entlassung aus dem Marine Corps über seinem Kopf ins Auge. Neben der Urkunde hing ein Foto des Richters in Uniform, auf dem er dem Bürgermeister der Stadt, Mayor Champion, die Hand schüttelte; auch Champion war ein ehemaliger Marine, der keine Gelegenheit militärischer Ehrungen ausließ und der Paraden und Gedenkfeiern an Tagen veranstaltete, die in anderen Städten oder Bundesstaaten längst passé waren, wie D-D ay oder …
O mein Gott.
Pearl Harbor Day.
» Richter«, sagte ich, » ich akzeptiere Ihre Entscheidung, aber könnten Sie mir nicht wenigstens weitere vierundzwanzig Stunden gewähren? Wenn ich nur Zeit bis Mittwoch haben könnte.«
Das Gesicht des Richters zog sich zusammen, wie stets, wenn etwas seine Missbilligung fand.
» Herr Anwalt …«
» Nur einen einzigen weiteren Tag, Euer Ehren. Mehr verlange ich nicht. Ich werde dann keine zusätzliche Verlängerung mehr
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