Der FC Bayern und seine Juden
vor den Toren Londons, den unpolitischen Charakter ihrer Reise zu betonen. Die britische Presse zitiert sie mit Aussagen wie: »Wir haben mit der Regierung nichts zu tun«, und: »Hitler hat uns keine Message mitgegeben. Wir sind hier als Sportler, um gegen die besten Fußballer der Welt Fußball zu spielen.«
Im Stadion wedeln unzählige Hakenkreuzfähnchen. Während des Spiels sorgt nur der Gewerkschaftsaktivist Ernest Wooley für einen Eklat. Wooley kappt das Seil der Nazi-Fahne auf dem Tribünendach von White Hart Lane. Das Tuch flattert auf das Dach hinunter, kann aber schnell wieder hochgezogen werden.
Auch wenn dies Funktionär Hädicke entgangen ist: Die Zeiten, in denen Englands Nationalmannschaft noch unumstritten als weltweite Nummer eins galt, sind längst vorbei. 1931 verlor man gegen die Franzosen in Paris mit 2:5, 1933 unterlag man in der Home-Championship Schottland (1:2) und Wales (1:2), 1934 den Ungarn und Tschechoslowaken jeweils mit 1:2 und im April 1935 den Schotten erneut mit 0:2. Gegen die Deutschen reicht es am 4. Dezember allerdings zu einem 3:0-Sieg. Die Nazi-Presse feiert den Ausflug nach London trotzdem als politischen, psychologischen und sportlichen Erfolg.
Debakel in Berlin und eine schwarz-weiße Freundschaft
Ein halbes Jahr später sind mit Ludwig Goldbrunner, dem erst 19-jährigen Herbert Moll und dem 21-jährigen Wilhelm »Schimmy« Simetsreiter drei Bayern-Spieler für das olympische Fußballturnier in Berlin nominiert, wobei »Benjamin« Moll nur zuschauen wird. Hohe Erwartungen begleiten die deutsche Nationalmannschaft: Da keine Profis zugelassen sind, rechnet sich der »Amateur-Weltmeister« von 1934 allerbeste Chancen aus. Der Turnierstart verläuft auch verheißungsvoll: Luxemburg wird mit 9:0 rasiert, drei Tore erzielt Linksaußen Simetsreiter.
Der folgende Gegner Norwegen wird von einem alten Bekannten trainiert: Asbjørn Halvorsen, in den 1920er Jahren der erste ausländische Star des Hamburger SV, mit dem er zweimal die Deutsche Meisterschaft gewann. Die »Fußball-Woche« in einer Hymne auf den Norweger: »Wenn je ein Spieler einer Mannschaft das Gepräge gab, dann dieser norwegische Sportsmann mit seinem fast nüchternen Zweckmäßigkeitsstil.«
Adolf Hitler ist kein großer Freund des Fußballs, was der 7. August 1936 nicht ändern wird – im Gegenteil. Die Begegnung gegen Norwegen ist erst sein zweites Fußballspiel überhaupt. Und es wird auch sein letztes bleiben. Eigentlich will der Führer beim Rudern zuschauen, bis der Danziger Gauleiter Albert Forster ihn zum Besuch des Poststadions überredet. Forster ist überzeugt, dass die deutschen Kicker Gold holen.
Außer Hitler tummeln sich auch noch Reichssportführer von Tschammer und Osten, der Reichsminister für Propaganda und Aufklärung Joseph Goebbels, Generaloberst und Gestapo-Gründer Hermann Göring, Reichsinnenminister Wilhelm Frick und der Reichsminster ohne Geschäftsbereich Rudolf Hess auf der Ehrentribüne.
Vor dem Anpfiff suchen Hitler und seine Entourage die Kabine der Nationalelf auf. Während die meisten Spieler vor dem »hohen Besuch« stramm stehen und artig den »deutschen Gruß« entbringen, kehrt Willy Simetsreiter den Eindringlingen den Rücken zu und nestelt umständlich an seinen Schnürsenkeln herum, bis er aufgerufen wird. Hans Schiefele: »Das war schon a bissel a Provokation.«
Die Deutschen sind sich ihrer Sache so sicher, dass Felix Linnemann – um bewährte Kräfte für die weiteren Aufgaben zu schonen – die Aufstellung einiger junger Talente anordnet. Der Schuss geht nach hinten los. Bereits in der 6. Minute erzielt Isaksen die Führung für den krassen Außenseiter. Die Deutschen drängen auf den Ausgleich, und Simetsreiter schießt aus kürzester Entfernung über das leere Tor. In der 86. Minute schlägt Isaksen ein zweites Mal zu, und der Außenseiter gewinnt sensationell mit 2:0.
Hitler verlässt wütend das Stadion. Der »Kicker« jammert: »Und dann, als unsere Freunde (…) am Radio saßen, als sie hörten, dass der Führer unter dem Jubel der Massen in das Poststadion seinen Einzug hielt, da waren sie stolz und glücklich. Adolf Hitler würde einen deutschen Fußballtriumph erleben, es konnte ja nicht anders sein. Nach 11/2 Stunden die bleiernde Aschermittwochstimmung. Dieses 0:2 vor Adolf Hitler, der erstmals einem Fußballkampf zusah – das hätte einfach nicht sein dürfen, das musste ausgeschlossen sein.«
Die Erklärung, den Spielern hätten wegen der
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