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Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)

Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)

Titel: Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Huber
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doch im Alltag „funktionieren“, wie es dringend nötig ist?
    Und das Fünfte : Bestehen noch destruktive Kontakte zu anderen Menschen und ist die KlientIn bereit, darüber mit Ihnen nachzudenken? Dann erst kann man sich mehr und mehr den schwierigeren Anteilen da drinnen zuwenden.
    In einem ausführlichen Fallbericht von Renate Stachetzki, der Selbstdarstellung der Klientin Frau K. und den Gesprächssequenzen, die ich mit Frau K. bei der Live-Supervision in der Klinik geführt habe ( Kapitel 15  und die  Interviews 3  und  4 ), möchte ich beispielhaft zeigen, wie die Arbeit mit den angeblich so unaushaltbar schwierigen „Anti-Persönlichkeits-Anteilen“ (oder den anderen „Leuten da drinnen“) aussehen kann.

13. Der Krampfanfall – Ausdruck eines inneren Kampfes
    Zunächst eine Abbitte: Vielleicht habe ich in meinen Büchern und in meinen Vorträgen und in meinen Lehrveranstaltungen oft zu forsch darauf bestanden, dass es KlientInnen rascher besser gehen soll. Immer habe ich versucht zu sagen, dass es Zeit braucht, Zeit für alles, doch wahrscheinlich, nur allzu wahrscheinlich bin auch ich der Versuchung erlegen, einfache Ansagen zu machen: Sie sollten sich innerhalb weniger Minuten reorientieren können in Raum und Zeit. Sie sollten sich an Regeln halten, unbedingt. Sie sollten ...
    ... und dann die Praxis
    Das langsame und zähe und mühsame Reorientieren aus furchtbaren Abreaktionen zum Beispiel. Ich habe eine Klientin auf deren Wunsch am Ende der Stunde verlassen, um nach zehn Minuten nach ihr zu schauen und sie zu verabschieden – und finde sie in tiefer Abreaktion vor: Sie liegt auf dem Behandlungssofa, die Wülste über den Augenbrauen und den geschlossenen Augen zucken wild, der Körper krampft, die Atmung geht sehr schnell und sehr flach, es ist eher eine Art Schnappatmung. Ich spreche, wie immer, ruhig und klar und freundlich, bitte alles innen, mitzuhelfen, dass etwas „nach vorn kommen kann, das sich in Raum und Zeit orientieren kann“ – und bemerke, wie die Klientin sich abmüht:
    Die Augen werden, wie zugeklebt sind sie, aufgerissen, der Blick irrt hin und her, die Pupillen weit, weit oben, hin und her und hin und her rast der Augapfel, niemand könnte das spielen, das ist wirklich eine echte große Anstrengung. Der Blick versucht verzweifelt, sich an etwas festzuhalten, an einem Gegenstand im Raum, an einer Lampe vielleicht, einem Buch im Regal, einem Kuscheltier da drüben, der Lehne eines Stuhls – und mit ungeheurem Aufwand wird der Kopf gehoben. Die Hand, die rastlos den Igelball knetet, versucht ihn loszulassen, los – zu – lassen. Die Finger werden steif gespreizt, irgendwann fällt der Ball heraus, die Hand zuckt zurück zum Gesicht, streicht über die Stirn, die Augen, wieder und wieder, die Kiefer mahlen ... die Augen fallen wieder zu. Ich spreche ruhig und klar: „Bitte die Augen wieder aufmachen. So ist es gut, danke“, und die Augen werden wieder aufgerissen, das gleiche rasende verzweifelte Suchen nach einem Halt für den Blick beginnt; der Mund versucht, Worte zu formen, es kommt nur ein dumpfer Laut.
    Die junge Frau, die immer so bemüht war, die Contenance zu wahren, versucht erkennbar verzweifelt, aus dem Orkus ihrer inneren Raserei in eine äußere geordnete Form zu kommen. Und das dauert. Sie strengt sich an, so sehr, dass ich immer beruhige. „Schön langsam, ganz ruhig, wir haben Zeit.“ Bis sie „wieder da“ ist und überhaupt in der Lage, mit wegrutschendem rechtem Bein vorsichtig ein paar Schritte zu tun, wird es noch eine halbe Stunde dauern. Ich werde am Schluss eine Stunde überzogen haben. Werde sie zum Auto begleitet haben, Minischritt für Minischritt, werde ihr zugehört haben, wie sie sich windet vor Peinlichkeit: Es tut ihr so leid, sie hätte längst ... Sie versteht auch nicht, wieso. „Ich kann doch jetzt schon wieder ins Haus, es wird schon gehen ...“
    Als sie im Auto sitzt, noch quer, weil sie die Beine nicht anziehen kann, und ich sie bitte, erst dann loszufahren, wenn sie sich wirklich dazu in der Lage fühlt, lacht sie: „Ach, das Autofahren geht immer automatisch, ich kann das dann schon“, sinkt dann aber bleich zurück und ich bleibe unschlüssig an der geöffneten Autotür stehen, bis sie mich wegschickt, und ich nehme ihr noch das Versprechen ab, mir eine E-Mail zu schreiben, wenn sie daheim angekommen ist. Ich darf nicht bleiben, um zu sehen, ob sie gut losfahren kann, das will sie nicht. Später wird sie mir schreiben

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