Der Feind im Spiegel
werden sollen, um im Rahmen der legislativen, sozialen und parlamentarischen Normen der westlichen Gesellschaften aktiv sein zu können.«
»Danke für die politische Aussage, Frau Polizeivorsteher«, sagte das Mitglied des Folketings. »Fein, daß es dafür in ganz Europa Verständnis gibt, obwohl ich so meine Zweifel habe, daß es wirklich so verbreitet ist, wie Sie sagen. Aber ich habe ja schlicht gefragt, ob das Risiko für terroristische Aktivitäten in Dänemark nach Meinung des PND in muslimischen Kreisen größer ist als in anderen Gruppen. Ich glaube, darauf habe ich immer noch keine Antwort erhalten.«
Vuldom trat einen Schritt vor.
»Es ist doch simple Logik«, sagte sie scharf. »Wenn wir eine wachsende Gruppe in der Gesellschaft marginalisieren, führt das zwangsläufig dazu, daß die radikalen Kreise, die islamistischen Kräfte, eine reale und verlockende Alternative werden. Oder, schlimmer noch, the only shop in town. «
Der Rest war ein Reigen von Allgemeinheiten, dachte Toftlund, der seinen Vortrag mit einer Routine durchzog, die er sich gar nicht zugetraut hatte. Sie verließen den Raum mit Händeschütteln, der hartnäckige Parlamentarier als letzter. Er war der dominierende Teilnehmer in der Runde gewesen. Als Mitglied der die Regierung duldenden Partei besaß er die Sicherheit desjenigen, der zur parlamentarischen Mehrheit der Regierung gehörte, ohne deren Verantwortung tragen zu müssen. Toftlund kannte das. Politik war ein schmutziges Hickhack, und er verstand ihre Regeln nicht. Der Politiker hatte blonde Haare und blaue Augen. Toftlund kannte ihn aus dem Fernsehen. Wie hieß er noch gleich? Carsten Traberg Hansen? Er sah aus wie ein Schauspieler, der für die Rolle des arischen Schurken in einem schlechten Film prädestiniert war. Er hatte seine Unterlagen unter den Arm geklemmt und blieb stehen, als er an Vuldom und Toftlund vorbeikam.
»Danke für den Überblick. Er war sehr interessant. Und eine politische Neuerung. Ich werde mich darauf berufen, daß der PND deutlich formuliert hat, daß von den muslimischen Kreisen in Dänemark keine Terrorbedrohung zu erwarten ist. Das werde ich meiner Fraktion überbringen.«
»Das habe ich nicht gesagt«, sagte Toftlund.
Wieder die blassen Augen aus dem Fernsehen.
»Aber gemeint.«
Toftlund fühlte Ärger in sich hochsteigen.
»Wenn Sie dieser Ansicht sind, haben Sie von der letzten Stunde nicht allzuviel verstanden.«
Der Politiker neigte den Kopf zur Seite wie im Fernsehen und sah Toftlund ruhig und mit einer Kälte an, die diesen an einen alten Unteroffizier denken ließ, der ihn während seiner Rekrutenzeit getriezt hatte, weil er genau wußte, daß der mit den Streifen am Ärmel immer das Recht auf seiner Seite hat. Der Politiker sagte: »Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Sie eigentlich wissen, was in Dänemark vorgeht. Oder ob Sie einfach nicht die notwendigen Schlüsse aus dem Wissen ziehen wollen, über das Sie verfügen. Aber es hat einen Systemwechsel in Dänemark gegeben. Und ich möchte doch daran erinnern, daß Sie gesagt haben, daß in den muslimischen Kreisen keine Terrorpläne bereitliegen. Das ist eine sehr vollmundige Behauptung, Kommissar Toftlund. Das werden Sie irgendwann bereuen. Oder wissen Sie vielleicht etwas, was Sie uns nicht verraten wollen? Weil es politisch nicht korrekt ist? Sind Sie nicht mit einer … nun, kulturradikalen Journalistin verheiratet? Hm?«
Toftlund wandte sich ab und ging, bevor er platzte. Ausnahmsweise sah Jette Vuldom etwas verdutzt aus der Wäsche – darüber, daß ein Politiker ein ungeschriebenes Gesetz verletzt hatte.
»Danke für Ihr Kommen«, sagte sie.
»Toftlund!« Der Politiker hob die Stimme. »Ich darf doch wohl eine Antwort erwarten!«
Per drehte sich um, zeigte ihm den Mittelfinger und ging weiter, in seinem Rücken das selbstzufriedene Lachen des Politikers. Er wußte genau, daß er sich wieder einmal etwas geleistet hatte, was seiner Chefin nicht gefallen und ihm selber auch nicht gerade nützen würde.
Auf der Fahrt ins Hauptquartier sagte sie dann auch: »Du bist ein Idiot, Per!«
»Der Typ ist ein Idiot.«
»Aber er hat die Macht, und du bist Beamter.«
»Es gibt so viel, was du nicht verstehst.«
»Und zwar?«
»Das kann ich dir nicht erklären.«
Den Rest des Weges schwiegen sie. Auf dem Parkplatz an der Borups Allé setzte Toftlund sie ab, aber als er eben aufs Gas drücken wollte, um wieder loszufahren, kam der Wächter herausgelaufen und rief: »Deine Frau,
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