Der Feind
die Probe zu stellen, doch Abel kannte Petrow einfach zu gut. Als sie schließlich zufrieden und von Abels Seriosität überzeugt war, übermittelte sie ihm ihre Bedingungen. Ihre »Firma«, wie sie es nannte, verlangte einen nicht rückzahlbaren Vorschuss von 25000 Dollar. Für diese Summe würden sie jeden Auftrag überdenken, der ihnen via E-Mail angeboten wurde. Falls er es vorzog, das Geschäft über einen »toten Briefkasten«, einen »Dead Drop«, abzuwickeln, also über ein getarntes Versteck, an dem man seine Nachrichten hinterließ, ohne sich dort zu treffen, so würde ihn das 50000 Dollar kosten, während der Preis für ein persönliches Treffen 100000 Dollar betrug. Dabei handelte es sich jeweils um einen Vorschuss, der in keinem Fall zurückzuzahlen war. Diese Frau war geschäftstüchtig, das musste man ihr lassen.
Über einen solchen Auftrag per E-Mail zu verhandeln kam nicht infrage. Auch ein Dead Drop erschien Abel in diesem Fall zu riskant. Deshalb war ein persönliches Treffen der einzig vernünftige Weg, um die Sache abzuwickeln. Abel überwies das Geld auf das angegebene Konto, und sie schickte ihm eine Liste von Instruktionen, die er, abgesehen von einer einzigen Ausnahme, auch befolgte.
Aufgrund dieser Anleitung war er schließlich hier gelandet – neben einem Zeitungskiosk in der Rue du Mont Cenis im Montmartre-Viertel von Paris. Er war, wie vereinbart, allein gekommen und hatte die Zeitschrift gekauft, die sie ihm angegeben hatte. Sie saß in dem Café, so wie sie es angekündigt hatte, mit ihrem Burberry-Schirm auf dem Sessel neben ihr. Sie saß schon eine Viertelstunde so da, und Abel genoss es, sie warten zu lassen. Das gehörte zu seinem Plan. Ab jetzt würde er es nicht mehr zulassen, dass diese Leute den Rhythmus und das Tempo ihrer jungen und hoffentlich erfolgreichen Geschäftsbeziehung vorgaben. Sie hatten immerhin 100000 Dollar von seinem Geld – da konnten sie ruhig ein bisschen warten.
Es hätte ihm auch nichts ausgemacht, wenn sie aufgestanden und gegangen wäre – im Gegenteil. Dann konnte er ihr folgen und ein bisschen mehr herausfinden, bevor er ein zweites Treffen vereinbarte. Das Gefährlichste an der Sache war nicht das erste Treffen, sondern der Augenblick, in dem er seine Zielperson preisgab. Das war der Punkt, an dem es praktisch kein Zurück mehr gab. Sobald Abel ihnen verriet, dass es um Mitch Rapp ging, waren sie in gewisser Weise mit an Bord, ob es ihm nun passte oder nicht. Abel blätterte in seiner Zeitschrift um und blickte über den Rand hinweg zu der faszinierenden Frau hinüber, die er gleich treffen würde. Noch fünf Minuten, sagte er sich; wenn sie bis dahin nicht gegangen war, würde er hinübergehen und so vorgehen, wie es vereinbart war.
Er sah, wie sie auf ihre Uhr blickte, und er stellte sich vor, wie sie wohl nackt aussehen mochte. Nein, der Anblick würde bestimmt keine Enttäuschung sein. Abel stieß einen erwartungsvollen Seufzer aus, und als er wieder einatmen wollte, spürte er etwas Hartes im Rücken und warmen Atem im Nacken.
»Elle est belle … n’est-ce pas?« Sie ist schön, nicht wahr? , flüsterte ihm eine männliche Stimme ins Ohr.
Abel wollte sich umdrehen, wurde jedoch von einer behandschuhten Hand daran gehindert, die sich mit beunruhigender Kraft um seinen Hals schloss. Der Mann war so nah, dass Abel den Kaffeegeruch in seinem Atem roch. Abel begann den rechten Arm anzuheben, damit er dem Mann einen Schlag versetzen und sich aus seinem Griff befreien konnte.
»Das würde ich nicht tun«, knurrte der Mann und packte noch fester zu. »Es sei denn, Sie wollen, dass ich Ihnen das Rückenmark durchtrenne.«
Abel spürte das Messer im Rücken und bemühte sich, ruhig zu bleiben. Der Mann sprach ein perfektes Englisch. Für einen Sekundenbruchteil kam es ihm in den Sinn, dass es Mitch Rapp sein könnte, der ihn da mit dem Messer bedrohte. Er atmete ein und erwiderte mit einer Stimme, die zu seinem Leidwesen etwas zittrig klang: »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
»Erich«, knurrte der Mann, »Sie haben es nicht mit Amateuren zu tun. Keine Spielchen, sonst entgräte ich Sie wie einen Fisch, und Sie können den Rest Ihres Lebens mit einem schlaffen Schwanz verbringen.«
Trotz der kühlen Herbstluft spürte Abel, wie ihm der Schweiß auf die Oberlippe trat. Woher zum Teufel kennen sie meinen Namen? , fragte er sich bestürzt. »Ich bin einfach nur vorsichtig«, sagte er.
»Das verstehe ich, aber Sie sollten trotzdem keine
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