Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
Vom Netzwerk:
blieben lange auf und »lachten, tanzten und sangen und machten solch einen Lärm, daß sie auch den Donner nicht mehr gehört hätten«, und »als einer der Männer seine Hand unter die Kleider einer Dame schob«, wurde ihm von dem wütenden Ehemann der Arm gebrochen.
    Die Unterhaltung bestand nicht nur aus dem Vortrag erhabener epischer Gedichte über den ritterlichen Ehebruch. Die derben, komischen Fabliaux , in kurzen Reimpaaren geschrieben und meist satirisch und obszön, oft grausam und grotesk, wurden zur Erheiterung erzählt wie die schmutzigen Witze anderer Zeitalter. Oft waren sie von den Hofdichtern als Parodie auf die ritterlichen Romanzen verfaßt, Sex war darin eher ein vulgärer Witz als ein edles,
erhebendes Gefühl, und ihr Vortrag war sehr beliebt in Stadt und Land, in Burg und Taverne und wahrscheinlich auch im Kloster.
    Es ist gut möglich, daß Isabella die Erzählungen von Jean de Condé gehört hat, einem Dichter vom heimischen Hof ihrer Mutter in Hainault. Sein Stil wird durch eine Geschichte illustriert, in der an einem Hof bei einem Fest vor einem Turnier eine Art »Wahrheitsspiel« wiedergegeben wird. Ein Ritter, von der Königin gefragt, ob er Kinder gezeugt habe, ist gezwungen zuzugeben, daß er keine hat, »und in der Tat sah er auch nicht so aus, als ob er seine Geliebte erfreuen könnte, wenn sie nackt in seinen Armen lag. Sein Bart war wenig mehr als die paar Flusen, die Damen an bestimmten Körperstellen haben.« Die Königin antwortet ihm dann, daß sie sein Wort nicht bezweifelt, denn »wo kein Heu ist, ist auch keine Heugabel«. Nun fragt der Ritter seinerseits: »Meine Dame, antwortet mir ohne Trug, habt ihr Haare zwischen den Beinen?« Und als sie antwortet: »Nicht eines! «, murmelt er: »Das glaub’ ich gern, denn wo Schlag auf Schlag erfolgt, da wächst kein Gras!« [Ref 171]
    Die Grundkonstellation der Fabliaux ist, daß dem Mann Hörner aufgesetzt werden, wobei auch einmal ein unsympathischer Liebhaber an die Stelle des Ehemannes treten kann. Während die Ehemänner und Liebhaber in diesen Geschichten sehr unterschiedlich sind – von sympathisch bis widerlich –, sind die Frauen ohne Ausnahme Betrügerinnen: untreu, skrupellos, streitsüchtig, lüstern und schamlos, wenn auch nur selten dies alles auf einmal. Trotz ihrer realistischen Gestalten sind die Fabliaux dem Leben des Mittelalters nicht näher als die Romanzen, aber ihre Frauenfeindlichkeit spiegelte eine allgemeine Haltung wider, die ihren Tenor von der Kirche übernommen hatte.
    Die Frau war die Rivalin der Kirche, die Versucherin, die Ablenkung, das Hindernis auf dem Weg zur Heiligkeit, der Lockvogel des Teufels. In dem Speculum von Vincent de Beauvais, dem größten der Enzyklopädisten des 13. Jahrhunderts und Lieblingsautor Ludwigs des Heiligen, war die Frau »die Verwirrung des Mannes, ein unersättliches Biest, unablässige Angst, fortwährender Krieg, täglicher Ruin, ein Haus des Sturms« und schließlich – der Schlüssel des Ganzen – »ein Hindernis der Gottergebenheit«. Vincent war ein Dominikaner jener harten Art, die die Inquisition
züchtete, was seine Pyramide der Übertreibung erklären mag, aber auch weniger fanatische Prediger blieben nicht weit hinter diesem Urteil zurück. Auf der einen Seite klagten sie die Frauen an, Sklavinnen der Eitelkeit und Putzsucht zu sein und die Männer »zur Lüsternheit zu reizen«; auf der anderen Seite, zu beschäftigt mit dem Haushalt und den Kindern zu sein, zu erdgebunden, um ausreichend der göttlichen Belange zu gedenken.
    Theologie war Männerarbeit, die Erbsünde wurde auf die Frau zurückgeführt. Hatte nicht eine Frau das Unheil über Adam gebracht? Von allen Ideen der Menschheit hat die Gleichsetzung von Sex und Sünde das größte Unglück verursacht. Im Buch Genesis war die Erbsünde der Ungehorsam gegen Gott in der Suche nach dem Wissen um Gut und Böse, und in dieser Form war die Geschichte des Sündenfalls eine Erklärung dafür, daß des Menschen Schicksal Mühe und Arbeit waren. In der christlichen Theologie, die vor allem durch Paulus entworfen wurde, verstrickte der Sündenfall die Menschheit in ewige Schuld, von der allein Christus Erlösung versprach. Der sexuelle Kontext dieser Schuld wurde zum größten Teil vom heiligen Augustinus formuliert, der das christliche Dogma in einen klaren Gegensatz zum mächtigsten Trieb des Menschen brachte. Paradoxerweise wurde aus der Leugnung dieses Triebes eine Quelle der Macht für die Kirche, die

Weitere Kostenlose Bücher