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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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der Geistlichkeit. Der Schrei »Geld! Geld!«, schrieb Deschamps, hallte zeit seines Lebens über das Land. Immer wieder standen die Gemeinen dagegen auf, erschlugen in ihrer Verzweiflung die Steuereinnehmer, um dann entsetzt zusammenzubrechen,
einmal mehr verfolgt von Adligen mit Schwertern und von Anwälten mit Dokumenten, die alle mit drohender Stimme riefen: »Sà, de l’argent! Sà, de l’argent!«
    Coucy ging es in Bursa nicht gut. Einige Berichte sagen, er sei in tiefen Kummer verfallen, in eine Melancholie, die nichts erhellen konnte, er habe gewußt, er werde Frankreich nie wiedersehen, daß nach so vielen Abenteuern dies sein letztes gewesen sei. Seine Einschätzung war nur realistisch, aber wahrscheinlich eher begründet durch Krankheit und Verwundung als durch die »Trauer über den Sieg des Antichristen über die Christen«, was L’Alouete, der erste Geschichtsschreiber der Coucy-Dynastie, anführt. Mit sechsundfünfzig war Coucy noch nicht alt, auch wenn allgemein behauptet wird, daß die Menschen seiner Zeit früh alterten. Die Lebenserwartung im Mittelalter aber ist nur eine Statistik, die durch die hohe Kindersterblichkeit verzerrt wird; jene, die im Mittelalter die Fünfziger und Sechziger erreichten, galten keineswegs als alt und verehrungswürdig. Coucy hatte ein außerordentlich aktives Leben geführt, immer ruhelos, ohne Ruhepausen zwischen den Aufgaben, die er auf sich nahm. Er zeigte keine Alterserscheinungen oder Anzeichen der Schwäche, als er sich dem Kreuzzug anschloß. Er führte den brillanten Angriff auf die Türken am Tag vor der Schlacht – die einzige erfolgreiche Waffentat des ganzen Feldzugs. Dann kamen das Fiasko in einer Schlacht, die gegen seinen Rat überhastet eröffnet wurde, die Niederlage in einem Unternehmen, dessen Berater er an führender Stelle war, das grauenvolle Schauspiel der Abschlachtung seiner Kameraden und Untergebenen vor seinen Augen, die Schande und die Entbehrungen der Gefangenschaft, die Unsicherheit einer Auslösung und die Furcht vor einem Sieger, der an keine Regeln gebunden war. Als ein Mann, der sein Leben lang in einzigartiger Weise von Erfolg und Glück verwöhnt worden war, war Coucy psychisch auf solches Mißgeschick kaum vorbereitet. Vielleicht erblickte er auch in der Schlacht von Nikopol ein tiefes Versagen der Ritterschaft und sah in ihrem Ausgang eine persönliche Todesahnung bestätigt. [Ref 432]
    Am 16. Februar 1397 entwarf er in Vorbereitung auf den Tod in Bursa seinen Letzten Willen oder, genauer, einen langen Nachtrag zu seinem Testament. Zu dieser Zeit mag er bereits in provisorischer
Freiheit bei dem reichen und adligen Francesco Gattilusio, dem genuesischen Herrn von Mytilene (Lesbos), in Bursa gewohnt haben – »einem Verwandten«, wie Froissart schrieb. Gattilusio war ein Mann von großem Einfluß am osmanischen Hofe und mag sehr wohl – auch ohne verwandtschaftliche Bindung – für einen großen, in Genua wohlbekannten französischen Baron gebürgt haben. Man kann also hoffen, daß Coucy seine letzten Tage nicht auf nacktem Stein verbrachte.
    »Gesunden Geistes, aber körperlich schwach und in Anbetracht dessen, daß nichts sicherer als der Tod und nichts unsicherer als seine Stunde«, begann Coucy seinen Anhang in lateinischer Sprache, wahrscheinlich geschrieben von der Hand Geoffrey Maupoivres, der nicht nur Arzt, sondern auch Magister der Künste war. In der Sorgfalt und Genauigkeit der Bestimmungen spiegelt das Dokument wider, was ein mittelalterlicher Mann angesichts des Todes dachte.
    »Zunächst und vor allem« weist er an, daß er in Frankreich nach den Bestimmungen seines früheren Testaments (das die Beerdigung seines Körpers in Nogent und seines Herzens in seiner Stiftung Ste. Trinité in Soissons vorsah) bestattet zu werden wünschte. Ganz am Ende des Nachtrags, als sei ihm plötzlich die Schwierigkeit bewußt geworden, seinen Körper einzubalsamieren und in die Heimat zu transportieren, beauftragt er seine Vollstrecker mit der Rückführung seiner Gebeine und seines Herzens. Zu einer Zeit, in der der offizielle Glaube auf der Wertlosigkeit des Körpers beharrte und die Unsterblichkeit der Seele betonte, ist die extreme Sorge um jedes Detail der körperlichen Überreste und ihrer Bestattungsform bemerkenswert.
    Das Zweitwichtigste war ihm Ste. Trinité selbst, die größte Investition für seine Erlösung. Er stiftete für das Kloster »ein würdiges Silberkreuz von etwa 23 Pfund, ein silbernes Weihrauchfaß,

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