Der ferne Spiegel
April brachte Willay das einbalsamierte Herz und die Gebeine (oder den einbalsamierten Körper – welches von beiden, ist nicht gesichert) mit nach Frankreich zurück. Dann erst wurde die Dame de Coucy vom Tod ihres Gatten benachrichtigt. Nach dem Biographen von Boucicaut, der allerdings zu rhapsodischen Übertreibungen neigt, bejammerte sie ihren Verlust so sehr, daß »es schien, ihr Herz und ihr Leben verließen sie; und niemals wieder wollte sie heiraten noch der Trauer jemals erlauben, ihr
Herz zu verlassen«. Eine Bestattung von beeindruckender Grandeur wurde von den Bischöfen von Laon und Noyon zelebriert, der Körper (oder die anderen Überreste) in einem gewaltigen Grabmal in Nogent zur letzten Ruhe gebettet, das Herz in Ste. Trinité unter einer Plakette bewahrt, die ein eingraviertes Herz über dem Coucy-Wappen zeigt. Deschamps schrieb ein Klagelied wie für ein nationales Ereignis, in dem er »den Tod und das Ende Enguerrands, des von allen edlen Herzen betrauerten Barons«, besang.
Das Lösegeld für die übrigen Gefangenen wurde schließlich nach langen Verhandlungen mit dem Hof des Sultans auf 200 000 Dukaten festgesetzt. Alle Reserven des Kreditwesens wurden mobilisiert, um die ungeheure Summe aufzubringen. Inzwischen waren Boucicaut und Guy de Tremoille vorläufig freigelassen worden, um Geld in der Levante aufzutreiben. Sie reisten nach Rhodos, wo Tremoille, offenbar in geschwächter Gesundheit, krank wurde und starb. Die Ritter von Rhodos stellten 30 000 Dukaten für das Lösegeld bereit, der König von Zypern leistete einen Beitrag von 15 000 Dukaten, verschiedene Handelsleute und wohlhabende Bürger des Archipels liehen weitere 30 000. Für mehr als die Hälfte der Gesamtsumme bürgte im Namen des Herzogs von Burgund Gattilusio, der Herr von Mytilene. [Ref 435]
Gegen eine Anzahlung von 75 000 Dukaten wurden die Gefangenen am 24. Juni unter der Bedingung freigegeben, in Venedig zu bleiben, bis die ganze Summe gezahlt war. Noch ein weiterer Ritter unter ihnen erlebte diesen Tag nicht. In grausamer Gerechtigkeit starb der Graf d’Eu neun Tage vor der Freilassung. Bajasids Abschiedsworte waren nicht höflich. Jean de Nevers sagte er, daß er es verschmähe, ihm den Eid abzunehmen, nie wieder gegen ihn die Waffe zu erheben. »Kommt mit welcher Macht Ihr könnt und laßt es an nichts fehlen, aber kommt. Ihr werdet mich immer bereit finden, Euch und Eurer Kompanie auf dem Schlachtfeld zu begegnen . . ., denn ich bin bereit, große Waffentaten zu vollbringen und mehr von der Christenheit zu erobern.« Dann ließ der Sultan die Kreuzritter am Schauspiel seiner Jagd mit siebentausend Falknern, sechstausend Jägern, Hunden in Seidendecken und Leoparden mit diamantbesetzten Halsbändern teilnehmen.
Gesundheitlich geschwächt und mittellos, hatten es die Ritter nicht eilig, nach Frankreich zurückzukehren. Sie reisten langsam mit langen Erholungspausen über Mytilene nach Venedig, wo ein erneuter Ausbruch der Pest einen weiteren unter ihnen das Leben kostete – Heinrich von Bar. Es war ein trauriger Tod so nahe der Heimat, und es machte Coucys Tochter und Erbin vaterlos und zur Witwe, was Folgen für die Domäne Coucys nach sich ziehen sollte.
Die Kreuzritter, von deren Führern nun nur Nevers, Boucicaut, Guillaume de Tremoille und Jacques de la Marche neben sieben oder acht anderen Herren geblieben waren, betraten Frankreich im Februar 1398. An den Toren von Dijon wurden sie von der Bürgerschaft mit Geschenken empfangen. Eingedenk seiner eigenen Gefangenschaft befreite Nevers »eigenhändig« alle Insassen des Stadtgefängnisses. In Paris übergab der König seinem Vetter ein Geschenk von 20 000 Pfund. Die Städte von Burgund und Flandern stritten sich um die Ehre, den Führer der Kreuzritter empfangen zu dürfen. Auf Befehl seines Vaters machte er einen Triumphzug durch die Lande und Städte der Leute, die seine Freiheit erkauft hatten.
Das krönende Fiasko der Ritterschaft verschwand hinter Feiern, Gesängen und Pomp. Nach Nikopol litt Frankreich unter langen schweren Jahren der Mißwirtschaft. Die herrschenden Werte der Ritterlichkeit veränderten sich noch immer nicht, aber das ihnen zugrunde liegende System verfiel. Froissart machte den gleichen Befund in England, wo ein Freund aus alten Zeiten ihn fragte: »Wo sind die großen Unternehmungen und tapferen Männer, die glorreichen Schlachten und Eroberungen? Wo sind die Ritter in England, die jetzt solche Taten verrichten könnten? . . .
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