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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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Die Zeiten sind schlechter geworden . . . Verrat und Haß werden jetzt genährt.«
    Der türkische Sieg hatte keine unmittelbare Wirkung auf Europa, weil Bajasid sich dem Osten zuwenden mußte. Ein gefährlicher Feind war ihm in Asien erwachsen, Tamerlan, der an der Spitze einer neuen mongolisch-türkischen Horde Anatolien überrannte und eine Spur von verbrannten Städten und zu Pyramiden aufgeschichteten Schädeln hinter sich ließ. 1402 schlug er die türkische Armee unter Bajasid und nahm den Sultan gefangen. [Ref 436] Hinter Gitterstäben auf einer Karre wurde er im mongolischen Troß
mitgeschleppt, bis er an der Schande und den Entbehrungen starb – als hätte die Geschichte bewußt diese Symmetrie von Tun und Leiden eingerichtet.
    In seiner eigenen Zerrissenheit gefangen, war Europa nicht in der Lage, die Gelegenheit zu nutzen und den Griff der Türken auf dem Balkan zu brechen. Außer einer tapferen, aber kleinen Expedition unter Boucicaut – der letzte Ausläufer der Kreuzzüge – konnte Konstantinopel keine Hilfe mehr aus dem Westen gewinnen. Sigismund war in Auseinandersetzungen mit den Deutschen und Böhmen verwickelt, Frankreich und England hatten beide mit inneren Schwierigkeiten zu kämpfen. Bajasids Sohn hielt Tamerlan stand, die mongolische Eruption beruhigte sich, Bajasids Enkel rückte wieder in Europa vor, und sein Urenkel Mehmed II. eroberte 1453 Konstantinopel. [Ref 437]
     
    In Coucy erhoben sich rivalisierende Ansprüche auf das Erbe der großen Baronie mit ihren Burgen, 150 Städten und Dörfern, ihren berühmten Wäldern, »ihren vielen guten Vasallen, ihrem großen Adel und ihren unschätzbaren Einkünften«. Marie von Bar, Coucys älteste Tochter, und die Dame de Coucy, seine Witwe, gerieten in eine feindselige Auseinandersetzung um den Besitz; Marie beanspruchte die ganze Domäne, die Dame de Coucy eine Hälfte. Keine der beiden gab nach, sie lebten jede in einer Burg des Besitzes, umgeben von ihren Hauptleuten und Verwandten, und jede hatte einen Prozeß gegen die andere eingeleitet.
    Inzwischen versuchte Königin Isabeau, immer noch vorrangig im Interesse ihrer elterlichen Familie agierend, eine Heirat ihres Vaters Stephan von Bayern mit der Dame de Coucy in die Wege zu leiten. Dies erweckte in Frankreich die Furcht, daß die strategische Domäne in ausländische Hände geriet. Um das zu verhindern, bedrängte Ludwig von Orléans (mit »Drohungen und Erpressungen« einer Quelle zufolge) Marie von Bar, ihm die Baronie zu verkaufen, wobei mit der Begründung, die Domäne sei unteilbar, die Ansprüche der Witwe ganz übergangen werden sollten. Ob sein Motiv vor allem das Interesse Frankreichs oder die eigene Bereicherung war, bleibt eine offene Frage. Wie auch immer, es gelang ihm, sich eine der größten Besitzungen Frankreichs zu eigen zu machen,
was seine Position gegenüber seinem Onkel, dem Herzog von Burgund, stärkte. Der Kaufpreis betrug 400 000 Pfund, von denen Ludwig zunächst nur 60 000 anzahlte. Marie behielt das Recht auf Nutznießung der Domäne. Ludwig zwang sie wenig später auf nicht überliefertem Weg, ihm 200 000 Pfund des Kaufpreises zu erlassen, und auch die restlichen 140 000 Pfund der anderen Hälfte blieben ungezahlt. Marie leitete nicht weniger als elf Verfahren gegen Ludwig von Orléans ein, bis sie plötzlich nach einer Hochzeitsfeier verstarb, nicht ohne »Verdacht des Giftmords«. Ihr Sohn Robert von Bar führte die Prozesse fort, während er selbst der Angeklagte in Verfahren war, die die Dame de Coucy, die ebenfalls ihre Ansprüche aufrechterhielt, gegen ihn anstrengte. 1408, nach dem Tode Orléans, gab das Parlament den Ansprüchen der Dame de Coucy statt, aber die erloschen einige Jahre später wieder, als ihre Tochter Isabel, die den Bruder Jeans de Nevers geheiratet hatte, ohne Erben starb. Während dieser Auseinandersetzungen blieb Ludwigs Sohn, Karl von Orléans, im Besitz der Baronie, und als Karls Sohn als Ludwig XII. König von Frankreich wurde, ging Coucy an die Krone über, die die Baronie schon so lange begehrt hatte.
     
    Das gequälte Jahrhundert schleppte sich in der ihm eigenen Weise seinem Ende zu. Im März 1398 trafen sich Kaiser Wenzel und der König von Frankreich in einer erneuten Anstrengung, das Schisma zu überwinden. Um Benedikt XIII. abzusetzen, hatte die Universität von Paris vorgeschlagen, daß Frankreich ihm seine Loyalität entziehe, aber vorher sollte ein letzter Versuch unternommen werden, beide Päpste zur Abdankung zu

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