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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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sich nach dem alten Muster des Karl von Navarra mit den Engländern verbündete. [Ref 438]
    Heinrich IV. von England starb 1413, sein Sohn und Thronfolger war mit seinen fünfundzwanzig Jahren angetreten, mit der ganzen salbungsvollen Energie eines bekehrten Wüstlings seine Herrschaft zu einer Zeit strenger Tugend und heroischer Eroberung zu machen. Im Vertrauen auf die Anarchie in Frankreich und seine Absprachen mit dem Herzog von Burgund und in der Hoffnung, durch militärische Erfolge die Engländer hinter dem Hause Lancaster zu vereinigen, nahm Heinrich V. den alten Krieg wieder auf und erneuerte den fadenscheinigen Anspruch auf die französische Krone, der dadurch nicht gültiger geworden war, daß er über einen Usurpator auf ihn gekommen war. Unter dem Vorwand verschiedener französischer Perfidien landete er 1415 an Frankreichs Küste und verkündete, daß er »in sein eigenes Land, in seine eigenen Provinzen, in sein eigenes Königreich« gekommen sei. Nach
der Belagerung und Eroberung von Harfleur in der Normandie marschierte er nach Calais, um von dort für den Winter nach Hause zurückzukehren. Etwa dreißig Meilen vor seinem Ziel, nicht weit vom Schlachtfeld von Crécy, stieß er bei Agincourt auf die französische Armee.
    Die Schlacht von Agincourt hat Bücher, Studien und viele Aficionados inspiriert, aber sie war nicht entscheidend im Sinne von Crécy, das durch die Tatsache, daß es zur Eroberung von Calais führte, das halbernste Abenteuer Edwards III. in den Hundertjährigen Krieg verwandelte, oder im Sinne von Poitiers, das den Vertrauensschwund gegenüber dem Adligen als Ritter auslöste. Agincourt bestätigte lediglich diese beiden Folgen, insbesondere die zweite, denn nicht einmal Nikopol war eine so schmerzliche Demonstration der Tatsache, daß Kampfesmut in der Schlacht nicht gleichbedeutend mit militärischer Kompetenz ist. Die Schlacht wurde durch die Inkompetenz der französischen Ritterschaft verloren und gewonnen eher durch die Kriegstüchtigkeit der englischen Fußsoldaten als durch ihre Ritter. [Ref 439]
    Obwohl der Herzog von Burgund und seine Vasallen sich aus dem Kampf heraushielten, war die französische Armee den Invasoren drei- oder vierfach überlegen. Der Constable Charles d’Albret hatte in der alten Überheblichkeit ein Angebot von sechstausend Armbrustschützen der Miliz von Paris abgelehnt. Keine neue Taktik war eingeführt worden, und die einzige technologische Neuerung (außer der Kanone, die in der offenen Feldschlacht keine Rolle spielte) war ein dickerer Plattenpanzer. Er sollte besseren Schutz gegen Pfeilschüsse bieten, führte aber dazu, daß der Ritter schneller müde wurde, unbeweglicher und seinen Schwertarm nicht mehr ganz frei bewegen konnte. Der schreckliche Wurm in seinem Kokon war weniger schrecklich als vorher – und der Kokon selbst manchmal tödlich; Ritter starben manchmal in seinem Innern an Herzversagen. Pagen mußten ihre Herren mitunter im Feld stützen, denn wenn sie fielen, konnten sie sich nur schwer wieder erheben.
    Die Armeen trafen auf engbegrenztem Raum zwischen zwei Wäldchen aufeinander. Die Nacht hindurch hatte es geregnet, und der Boden war aufgeweicht, so daß die in Eisen gekleideten Ritter
leicht ausrutschen und fallen konnten. Die Franzosen hatten es unterlassen, ein Schlachtfeld zu wählen, auf dem sie ihre numerische Überlegenheit hätten ausspielen können. Sie waren in drei Reihen hintereinander aufgestellt mit wenig Bewegungsmöglichkeiten an den Flügeln und so gezwungen, einander in das sumpfige Tal hinunter zu folgen. Da sie keinen Oberbefehlshaber hatten, der wirklich Autorität besaß, stritten die Adligen miteinander um einen Platz in der ersten Reihe, bis diese so dicht besetzt war, daß sie einander behindern mußten. Bogenschützen und Armbrustschützen wurden hinter den Rittern aufgestellt, um nicht den Glanz des Zusammenstoßes zu verwässern, und waren so nutzlos.
    Die Engländer hatten, wenn auch hungrig, müde und niedergeschlagen durch ihre Unterlegenheit, zwei Vorteile: einen König, der persönlich das Kommando innehatte, und ein Verhältnis Ritter zu Bogenschützen von etwa tausend zu sechstausend. Ihre Bogenschützen wurden in soliden Keilen zwischen den Reisigen und in großen Blöcken an den Flügeln aufgestellt. Ohne Rüstung waren sie sehr beweglich und trugen zusätzlich zum Bogen verschiedene andere Waffen am Gürtel: Äxte, Keulen, Hämmer und einige auch lange Schwerter.
    Unter diesen Umständen war

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