Der Fetisch-Mörder
ihr, dass sie fürs Erste gewonnen hatte. Gegen ihre Sturheit war er noch nie angekommen, und ihr Kampf darum, wer seinen Willen durchsetzen konnte, reichte weit zurück. Obwohl er seine wahre Freude daran gehabt hatte, mit welch uneingeschränkter Aufmerksamkeit sie schon als Achtjährige seine Polizeigeschichten verschlungen hatte, hatte ihr brennendes Interesse für Verbrechen ihm doch einige Sorgen bereitet, genauso wie dem Rest der Familie. Als sie mit vierzehn angefangen hatte zu modeln, war er seltsam erleichtert gewesen. Vielleicht wurmte es ihn deshalb jetzt umso mehr, dass sie auf einmal unbedingt Kriminalpsychologin werden wollte. In seiner Generation waren die Frauen Hausfrauen und Supermuttis gewesen, nicht irgendwelche Karriereweiber mit Doktortiteln, die sich ausgerechnet für die Psyche von Kriminellen interessierten.
»Sei bitte vorsichtig, Makedde. Und versprich mir, dass du keine Risiken eingehst.«
»Mir passiert nichts, das verspreche ich dir«, versicherte sie. »Außerdem bin ich eine Amazone. Ein Psycho wäre verrückt, sich mit mir anzulegen.«
»Die sind verrückt, Makedde. Das ist ja das Problem.«
»Im rechtlichen Sinne nicht. Psychopathen haben vielleicht eine räuberische, manipulative und gewalttätige Prädisposition, aber vor dem Gesetz gelten sie nicht als geistesgestört.«
»Hör auf.«
Sie lachte. »Ich wollte dir nur ein bisschen auf die Nerven gehen. Ich ruf dich bald wieder an und lasse dich wissen, wie der Fall sich entwickelt. Ich hab dich lieb, Dad.«
»Ich dich auch.«
Makedde legte auf und fiel noch einmal in einen unruhigen Schlaf.
Sie träumte, dass sie in hohem Gras stand und auf die blutbeschmierte nackte Leiche einer jungen Frau hinab sah. Das Gesicht der Leiche war von Haar bedeckt, und als sie es zurückstrich, blickte sie in ihre eigenen leblosen Züge.
»Makedde«, flüsterte der Wind, »ich komme und hole dich.«
Makedde stieg die Treppe zu der riesigen, verglasten Doppeltür der Book Agency hinauf, wobei sie kurz innehielt und in der verspiegelten Wand des Treppenhausschachts ihr Aussehen überprüfte. Trotz des Make-ups hatte sie müde Augen, und ihre Haut wirkte blass und gestresst. Sie setzte ein Lächeln auf und war erleichtert, dass es einen erfreulichen Effekt hatte. Auf einmal sah sie gesund, glücklich und zuversichtlich aus. Blicke können täuschen und vertuschen.
Vor der Tür zögerte sie erneut einen Moment und fragte sich, ob sie es durchstehen würde, das erfolgreiche Model zu spielen, dem die persönliche Tragödie nichts anhaben konnte. Es hatte keinen Sinn, die anderen wissen zu lassen, dass sie in Wahrheit am Boden zerstört war; sie würden dann nur darauf bestehen, dass sie sich eine Auszeit gönnte, doch davon konnte sie ihre Rechnungen bestimmt nicht bezahlen. Sie straffte sich, zog den Bauch ein, setzte ein unverwüstliches Lächeln auf und betrat die Agentur. Die Empfangsdame begrüßte sie mit einer unverbindlich hochgezogenen Augenbraue; offenbar konnte sie mit ihrem Gesicht nichts anfangen. Doch Makedde hatte keinen Grund, beleidigt zu sein. Sie hatte auch keine Ahnung, wie die Empfangsdame hieß.
»Ist Charles Swinton da?«, erkundigte sich Makedde.
»Ja, gehen Sie nach hinten durch.« Die namenlose Empfangsdame widmete sich wieder der Vogue, die vor ihr auf dem Tresen lag.
Makedde umklammerte ihre Modeltasche und schritt zielstrebig in den hinteren Bereich, wo zehn Buchungsagenten, auch ›Booker‹ genannt, um einen langen ovalen Tisch saßen, diverse Telefonate erledigten und sich mit den jungen hoffnungsvollen Mädchen befassten, die um sie herumscharwenzelten. Jeder Booker hatte vor sich einen Computerbildschirm und eine Tastatur, und ein junges Model starrte hoffnungsvoll auf den Schirm, während er oder sie auf die Tasten drückte, um zu checken, wer noch frei war und wer nicht.
An sämtlichen Wänden stapelten sich auf Haltern die Sedcards. Von jeder Karte strahlte ein unvorstellbar makelloses Gesicht, darüber stand in fettem Schriftzug ›Book Model Agency‹ und ganz unten der Name des jeweiligen Models. Offenbar waren die Sedcards nach bestimmten Kriterien sortiert. An der einen Wand waren die ›Linda‹-, ›Christy‹- und ›Claudia‹-Typ-Karten untergebracht, während die ›Anna‹-, ›Louise‹- und ›Makedde‹-Typ-Karten sich an einer anderen Wand befanden. Vielleicht waren sie danach sortiert, wer sich gerade in der Stadt aufhielt und wer nicht, aber Makedde vermutete eher, dass man an der
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