Der Fetisch-Mörder
»Können Sie den Rest der Nacht irgendwo anders verbringen?«
»Nein. Ich bleibe hier. Bei dem Polizeiaufgebot kommen die Einbrecher mit Sicherheit nicht noch einmal zurück. Außerdem dürften sie haben, was sie wollten.« Er zog eine Augenbraue hoch. Was glaubte sie, hatten die Einbrecher? »Entweder waren es gewöhnliche Diebe, oder jemand, der hinter einem Souvenir von Catherine her war.«
Detective Flynn war ein wenig überrascht. Vermutlich hatte sie Recht, aber derartige Schlussfolgerungen hätte er ihr nicht zugetraut.
»Wir könnten Ihnen helfen …«
»Nein danke, ich brauche Ihre Hilfe nicht«, fiel sie ihm ins Wort. »Ich bleibe heute Nacht hier.« Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. »Oder besser gesagt, den Rest der Nacht. Es ist ja schon fast Morgen, und in weniger als vier Stunden wollte ich sowieso aufstehen.«
»Wie Sie wollen. Ich schicke dann morgen jemanden vorbei, um noch die eine oder andere Frage zu klären. Außerdem fürchte ich, dass wir noch einmal nach Fingerabdrücken suchen müssen.«
»Ich glaube nicht, dass sie welche hinterlassen haben.«
Detective Flynn sah sie neugierig an. Sie reagierte merkwürdig. Wusste sie irgendetwas? »Wie kommen Sie darauf, Miss Vanderwall?«
»Die ganze Wohnung ist doch noch mit dem Pulver Ihrer Spurensucher eingestäubt. Jeder, der auch nur ein bisschen Grips im Kopf hat, würde Handschuhe tragen. Um darauf zu kommen, muss man wirklich kein Detective sein.«
»Sie gehen davon aus, dass der Einbrecher etwas im Kopf hat.« Mit diesen Worten drehte er sich um und ging zur Tür. »Dann bis morgen.«
Sie überraschte ihn, indem sie ihm nachrief: »Schlafen Sie gut.«
»Sie auch«, entgegnete er und meinte es ehrlich. Ihre scheinbare innere Gefasstheit ging ihm ein wenig auf die Nerven. Oder gab sie sich nur so störrisch, weil er sie so unhöflich behandelt hatte?
Wie auch immer, es war schon nach halb vier und höchste Zeit, die junge Frau in Ruhe zu lassen.
Am nächsten Morgen fand Detective Flynn bei der Ankunft in seinem Büro ein riesiges, vierzig mal fünfzig Zentimeter großes Foto von Makedde Vanderwall vor, das an die Anschlagtafel gepinnt war, und auf dem sie nichts weiter trug als einen knappen aquamarinblauen Bikini. Jemand hatte mit einem knallroten Filzstift ihre Brüste umkringelt und Brustwarzen eingezeichnet. Andy Flynn blieb vor dem Foto stehen und starrte es mit verquollenen Augen an. Hinter sich hörte er ein unterdrücktes Glucksen.
»Also, das ist …« Er suchte nach Worten, »das ist ja echte Kunst.« Er bewunderte das Zeugnis pubertärer Unreife einen weiteren Moment lang und begann das Foto abzunehmen.
»Kommt nicht in Frage!« Jimmy erhob sich von seinem Stuhl und kam auf ihn zu. »Die bleibt hängen.«
Jimmy Cassimatis war seit vier Jahren Andys Partner. Darüber hinaus war er auch ein Freund. Die ›Stiletto-Morde‹, wie der Fall inzwischen intern hieß, waren für sie beide die größte Herausforderung ihrer gesamten Polizeilaufbahn. Bisher hatten sie es mit drei Morden zu tun, und angesichts des ungeheuren Drucks, der auf ihnen lastete, erwies sich Jimmys abgründiger Sinn für Humor immer wieder als willkommene Ablenkung. Er war dafür bekannt, selbst im Leichenschauhaus den gröbsten Unfug anzustellen; dagegen war seine Herumkritzelei auf einem Foto gar nichts.
Andy Flynn nahm seine Karriere bei der Polizei etwas ernster. Er war ehrgeiziger. Er war in einem der behüteten Vororte von Parkes groß geworden, wo die Leute Verbrechen nur aus dem Fernsehen kennen. Das Schlimmste, was einem dort passieren konnte, war, dass ein anderes Kind einem das Dreirad klaute, wenn man es im Vorgarten hatte stehen lassen. Den meisten wäre es niemals in den Sinn gekommen, dass gleich nebenan womöglich ein Mörder wohnte oder dass in der Grundschule ein pädophiler Lehrer unterrichtete.
Die örtliche Polizei hatte zwar keinen großen Kampf gegen das Verbrechen zu führen, doch Andy registrierte sehr wohl, wie viel Anerkennung den Beamten in dem kleinen Städtchen zuteil wurde. In dem Feinkostladen an der Ecke arbeitete ein hübsches Mädchen, und das freundlichste Lächeln hatte es immer für Sergeant Morris reserviert. Alle Kinder waren scharf darauf, einen Blick auf seine Waffe zu werfen, und seine Uniform flößte höchsten Respekt ein. Schon damals hatte die Polizei es Andy angetan, doch es war ein sensationeller Fall im Jahr 1972, der seinen Traum, Polizist zu werden, letztendlich Form annehmen ließ. Drei Männer waren
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